Das finde ich nun dumm. Woher weiß ich, was das Erste ist, wenn alles durcheinander brodelt? Mein Vater? Meine Mutter? Sylvia? Klara? Der arme Shicky, im Flug bemüht, sich ohne Beine im Gleichgewicht zu halten, herumflatternd wie eine Rauchschwalbe auf Insektenjagd, während er die Spinnweb-Fetzen aus der Luft von Gateway holt?
Ich greife hinab in mein Gemüt, suche die Stellen, von denen ich weiß, dass sie wehtun, weil sie schon früher wehgetan haben. So, wie mir zumute war, als ich sieben war, vor den anderen Kindern auf der Rock-Park-Promenade hin- und herstolzierend, damit jemand auf mich achtete? So, wie es damals war, als wir aus dem Realraum gekommen waren und wussten, dass wir in der Falle saßen, während der Geisterstern unter uns wie das Lächeln einer Cheshire-Katze aus dem Nichts heraufkam? Oh, ich habe hundert solcher Erinnerungen, und sie tun alle weh. Das heißt, sie können wehtun. Sie sind Schmerz. Im Index meines Gedächtnisses sind sie deutlich mit ›schmerzvoll‹ etikettiert. Ich weiß, wo ich sie finden kann, und ich weiß, wie es ist, sie an die Oberfläche kommen zu lassen.
Aber sie tun nicht weh, bis ich sie herauslasse. »Ich warte, Bob«, sagt Sigfrid.
»Ich denke nach«, antworte ich. Während ich so daliege, fällt mir ein, dass ich zu spät zu meiner Gitarrenstunde komme. Das erinnert mich an etwas, und ich betrachte die Finger meiner linken Hand, um festzustellen, ob die Fingernägel nicht zu lang geworden sind; ich wünsche mir, dass die Schwielen härter und dicker wären. Ich habe die Gitarre nicht sehr gut spielen gelernt, aber die meisten Leute sind nicht so kritisch, und es macht mir Vergnügen. Aber man muss immer üben und sich erinnern. Mal sehen, denke ich, wie war gleich der Übergang von D-Dur zu C7?
»Bob«, sagt Sigfrid, »das war bislang keine sehr lohnende Sitzung. Es bleiben nur noch zehn oder fünfzehn Minuten. Warum sagst du nicht einfach das Erste, was dir einfällt … jetzt.«
Ich weise das Erste zurück und sage das Zweite. »Das Erste, was mir einfällt, ist, wie meine Mutter geweint hat, als mein Vater ums Leben gekommen war.«
»Ich glaube nicht, dass das wirklich das Erste war, Bob. Lass mich raten. Hing das Erste mit Klara zusammen?«
Meine Brust verkrampft sich. Mein Atem stockt. Schlagartig taucht Klara vor mir auf, wie sie vor sechzehn Jahre aussah und keine Stunde älter … Ich sage: »Um ehrlich zu sein, Sigfrid, ich glaube, ich will über meine Mutter sprechen.« Ich erlaube mir ein höfliches, beschwichtigendes Glucksen.
Sigfrid seufzt nie resigniert, aber er kann auf eine Weise schweigen, die sich genauso anhört.
»Weißt du«, fahre ich fort, »sie wollte wieder heiraten, nachdem mein Vater gestorben war. Nicht gleich. Ich meine nicht, dass sie über seinen Tod froh war oder dergleichen. Nein, sie liebte ihn wirklich. Aber trotzdem war sie eine gesunde, junge Frau – nun ja, ziemlich jung. Mal sehen, sie wird wohl etwa dreiunddreißig gewesen sein. Und wenn ich nicht gewesen wäre, hätte sie sicher wieder geheiratet. Ich habe deswegen Schuldgefühle. Ich hielt sie davon ab. Ich ging zu ihr und sagte: ›Ma, du brauchst keinen anderen Mann. Ich will der Mann in der Familie sein. Ich werde für dich sorgen.‹ Aber das konnte ich natürlich nicht. Ich war erst fünf Jahre alt.«
»Ich glaube, du warst neun, Robbie.«
»Wirklich? Lass mich nachdenken. O je, Sigfrid, ich glaube, du hast Recht.« Und dann versuche ich, einen Klumpen Spucke zu schlucken, der sich auf irgendeine Weise schlagartig in meiner Kehle gebildet hat, und ich verschlucke mich und huste.
»Sag es, Rob!«, meint Sigfrid drängend. »Was willst du sagen?«
»Hol dich der Teufel, Sigfrid!«
»Los, Rob, sag es!«
»Was soll ich sagen? Mensch, Sigfrid, du treibst mich die Wand hoch! Dieser Dreck tut uns beiden nicht gut!«
»Sag, was dich bedrückt, Bob, bitte.«
»Halt dein blödes Blechmaul!« Der ganze sorgfältig zugedeckte Schmerz quillt hervor, und ich kann es nicht aushalten, werde nicht fertig damit.
»Ich schlage vor, Bob, dass du versuchst …«
Ich zerre an den Gurten, reiße Fetzen aus dem Schaumgummi und schreie: »Halt’s Maul, du! Ich will nichts hören. Ich werde nicht fertig damit, begreifst du denn nicht? Ich kann nicht! Ich kann nicht! Ich kann nicht!«
Sigfrid wartet geduldig, bis ich zu weinen aufhöre, was ziemlich plötzlich geschieht. Und dann, bevor er etwas sagen kann, erkläre ich müde: »Ach, zum Teufel, Sigfrid, das Ganze bringt uns nicht weiter. Ich glaube, wir sollten es aufgeben. Es gibt sicher andere Leute, die deine Dienste dringender brauchen als ich.«
»Was das betrifft, Rob«, antwortet er, »bin ich durchaus fähig, allen Ansprüchen, die man zeitlich an mich stellt, gerecht zu werden.«