(Er legt seine Hand auf Laertes Haupt)
und diese wenigen Lebens-Regeln, womit ich ihn begleite, schreib in dein Gedächtniß ein. Gieb deinen Gedanken keine Zunge, und wenn du je von unregelmässigen überrascht wirst, so hüte dich wenigstens, sie zu Handlungen zu machen: Sey gegen jedermann leutselig, ohne dich mit jemand gemein zu machen: Hast du bewährte Freunde gefunden, so hefte sie unzertrennlich an deine Seele; aber gieb deine Freundschaft nicht jeder neuausgebruteten, unbefiederten Bekanntschaft preiß. Hüte dich vor den Gelegenheiten zu Händeln; bist du aber einmal darinn, so führe dich so auf, daß dein Gegner nicht hoffen könne, dich ungestraft zu beleidigen. Leih' dein Ohr einem jeden, aber wenigen deinen Mund; nimm jedermanns Tadel an, aber dein Urtheil halte zurük. Kleide dich so kostbar als es dein Beutel bezahlen kan, aber nicht phantastisch; reich, nicht comödiantisch: Denn der Anzug verräth oft den Mann, und in Frankreich pflegen Leute von Stand und Ansehen sich gleich dadurch anzukündigen, daß sie sich mit Geschmak und Anstand kleiden. Sey weder ein Leiher noch ein Borger; denn durch Leihen richtet man oft sich selbst und seinen Freund zu Grunde; und borgen untergräbt das Fundament einer guten Haushaltung. Vor allem, sey redlich gegen dich selbst, denn daraus folget so nothwendig als das Licht dem Tage, daß du es auch gegen jedermann seyn wirst. Lebe wohl, mein Sohn; mein Segen befruchte diese Erinnerungen in deinem Gemüthe!
Laertes.
Ich beurlaube mich demüthigst von euch, Gnädiger Herr Vater.
Polonius.
Du hast hohe Zeit; geh, deine Bediente warten
Laertes.
Lebet wohl, Ophelia, und erinnert euch dessen was ich gesagt habe.
Ophelia. Es ist in mein Gedächtniß verschlossen, und ihr sollt den Schlüssel dazu mit euch nehmen.
Laertes.
Lebet wohl.
(Er geht ab.)
Polonius.
Was sagte er denn zu euch, Ophelia?
Ophelia.
Mit Eu. Gnaden Erlaubniß, etwas, das den Prinzen Hamlet angieng.
Polonius. Wahrhaftig, ein guter Gedanke! Ich habe mir sagen lassen, daß er euch seit einiger Zeit ziemlich oft allein gesprochen habe, und daß ihr ihm einen sehr freyen Zutritt verstattet, und geneigtes Gehör gegeben habt. Wenn es so ist, (wie es mir dann von sichrer Hand zukommt) so muß ich euch sagen, daß ihr euch selbst nicht so gut versteht, als es meiner Tochter und eurer Ehre geziemt. Was ist denn zwischen euch? Sagt mir die reine Wahrheit.
Ophelia. Gnädiger Herr Vater, er hat mir zeither verschiedene Erklärungen von seiner Zuneigung gemacht.
Polonius.
Von seiner Zuneigung? He! Ihr sprecht wie ein junges Ding, das noch keine Erfahrung von dergleichen gefährlichen Dingen hat.
Glaubt ihr denn seine Erklärungen, wie ihr es nennt?
Ophelia.
Ich weiß nicht was ich denken soll, Herr Vater.
Polonius. Potz hundert! Das will ich dich lehren; denk du seyst ein Kindskopf, daß du seine Erklärungen für baar Geld genommen hast, da sie doch falsche Münze sind. Du must bessere Sorge zu dir selbst haben, oder ich werde wenig Freude an dir erleben
Ophelia. Gnädiger Herr Vater, er bezeugt zwar eine heftige Liebe zu mir, aber in Ehren
Polonius.
Ja, in Thorheit solltest du sagen; geh, geh
Ophelia. Und hat seine Worte durch die feyrlichsten und heiligsten Schwüre bekräftiget.
Polonius. Ja, Schlingen, um Schnepfen zu fangen. Ich weiß wie verschwendrisch das Herz in Schwüre aussprudelt, wenn das Blut in Flammen ist. Mein gutes Kind, du must diese Aufwallungen nicht für wahres Feuer halten; sie sind wie das Wetterleuchten an einem kühlen Sommer-Abend, sie leuchten ohne Hize, und verlöschen so schnell als sie auffahren. Von dieser Stunde an seyd etwas sparsamer mit dem Zutritt zu eurer Person; sezt eure Conversationen auf einen höhern Preiß als einen Befehl, daß man euch sprechen wolle. Was den Prinzen Hamlet betrift, so glaubt so viel von ihm, daß er jung ist; und daß er sich mehr Freyheit herausnehmen darf, als der Wolstand euch zuläßt. Mit einem Wort, Ophelia, trauet seinen Schwüren nicht; desto weniger, je feyrlicher sie sind; sie hüllen sich, gleich den Gelübden, die oft dem Himmel dargebracht werden, in Religion ein, um desto sichrer zu betrügen. Einmal für allemal: Ich möchte nicht gern, deutlich zu reden, daß du nur einen einzigen deiner Augenblike in den Verdacht seztest, als wißtest du ihn nicht besser anzuwenden, als mit dem Prinzen Hamlet Worte zu wechseln. Merk dir das, ich sag dir's; und geh in dein Zimmer.
Ophelia.
Ich will gehorsam seyn, Gnädiger Herr Vater.
(Sie gehen ab.)
Siebende Scene
(Verwandelt sich in die Terrasse vor dem Palast.)
(Hamlet, Horatio und Marcellus treten auf.)
Hamlet.
Die Luft schneidt entsezlich; es ist grimmig kalt.
Horatio.
Es ist eine beissende, scharfe Luft.
Hamlet.
Wie viel ist die Gloke?
Horatio.
Ich denke, es ist bald zwölfe.
Marcellus.
Nein, es hat schon geschlagen.
Horatio. Ich hörte es nicht: Es ist also nah um die Zeit, da der Geist zu gehen pflegt.
(Man hört eine kriegrische Musik hinter der Scene.)
Was hat das zu bedeuten, Gnädiger Herr?
Hamlet. Der König hält Tafel, und verlängert den Schmaus, wie es scheint, in die tiefe Nacht, und so oft er den vollen Becher mit Rhein-Wein auf einen Zug ausleert, verkündigen Trompeten und Kessel-Pauken den Sieg, den Seine Majestät davon getragen hat.
Horatio.
Ist das so der Gebrauch?
Hamlet. Ja, zum Henker, das ist es; aber nach meiner Meynung, ob ich gleich ein Dähne und zu diesem Gebrauch gebohren bin, ein Gebrauch der mit größrer Ehre gebrochen als gehalten wird. Diese taumelnden Trink- Gelage machen uns in Osten und Westen verächtlich, und werden uns von den übrigen Völkern als ein National-Laster vorgeworffen: Sie nennen uns Säuffer, und sezen schweinische Beywörter dazu, die uns wenig Ehre machen; und in der That, der Ruf worinn wir deßwegen stehen, nimmt unsern Thaten, so groß und rühmlich sie sonst sind, ihren schönsten Glanz. In diesem Stüke geht es oft ganzen Völkern wie einzelnen Leuten, welche um irgend eines Natur-Fehlers willen, als etwann wegen der angebohrnen Obermacht eines gewissen Temperaments (woran sie doch keine Schuld haben, da sich niemand seine ursprüngliche Anlage selber auswählen kan,) welches sie manchmal durch den Zaun der Vernunft durchbrechen macht; oder wegen irgend einer angewöhnten Manier, einer Grimasse oder so etwas, welches mit dem eingeführten Wohlstand einen allzugrossen Absaz macht ich sage, daß solche Leute um eines einzigen solchen Fehlers willen, es mag nun seyn, daß die Natur oder ein Zufall Schuld daran habe, sich's gefallen lassen müssen, ihre guten Eigenschaften, so groß und zahlreich sie immer seyn mögen, in dem Urtheil der Welt abgewürdiget zu sehen. (Der Geist tritt auf.)
Horatio.
Hier, Gnädiger Herr; seht, es kommt.
Hamlet. Ihr Engel und himmlischen Mächte alle, schüzet uns! Du magst nun ein guter Geist oder ein verdammter Kobolt seyn, du magst himmlische Lüfte oder höllische Dämpfe mit dir bringen, und in wohlthätiger oder schädlicher Absicht gekommen seyn; die Gestalt die du angenommen hast, ist so ehrwürdig, daß ich mit dir reden will. Ich will dich Hamlet, ich will dich meinen König, meinen Vater nennen: O, antworte mir; laß mich nicht in einer Unwissenheit, die mir das Leben kosten würde: Sage, warum haben deine geheiligten Gebeine ihr Behältniß durchbrochen? Warum hat das Grab, worein wir dich zu deiner Ruhe bringen sahen, seinen schweren marmornen Rachen aufgethan, um dich wieder auszuwerfen? Was mag das bedeuten, daß du, ein todter Leichnam, in vollständiger Rüstung den Mondschein wieder besuchst, um die Nacht mit Schreknissen zu erfüllen, und unser Wesen auf eine so entsezliche Art mit Gedanken zu erschüttern, die über die Schranken unsrer Natur gehen.