Ãbersetzung von Monika Westhagen:
Verlag: Tektime
LITERARISCHE URHEBERRECHTE VORBEHALTEN
Copyright © 2017 by Marco Lupis Macedonio Palermo di Santa Margherita
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Erste italienische Ausgabe 2017
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Der Journalist ist der Historiker des Augenblicks
Albert Camus
Für Francesco, Alessandro und Caterina
Einleitung
Tertium non datur
In Mailand war gerade Herbst. Damals, im Oktober des Jahres 1976, war ich schnellen Schrittes zum ersten Interview meines Lebens unterwegs, über den Corso Venezia in Richtung Teatro San Babila.
Als Siebzehnjähriger war ich in Begleitung meines Freundes Alberto auf dem
Weg zu einer Nachrichtenübertragung in einem der ersten italienischen Privatsender, Radio Milano Libera, mit demwenig originellen Titel âSpazio giovani/Raum für die Jugendâ.
Es waren damals wirklich unglaubliche Jahre, wo alles möglich war und auch wirklich geschah. Phantastische Jahre. Schreckliche Jahre zugleich. Es waren die anni di piombo , die der Jugendproteste, der autonomen Zirkel, der Schulstreiks, der Demos, die fast immer in Gewalt ausarteten. Jahre mit enormem Enthusiasmus, voll von kulturellem Aufruhr, der kurz vor dem Siedepunkt schien, so lebendig, engagiert und allumfassend wurde er empfunden. Es waren Jahre der Konfrontation und zuweilen auch die von Menschen, die einen gewaltsamen Tod starben: auf der einen Seite die linke Jugend, auf der anderen die Rechte. Im Vergleich zu heute war alles denkbar einfach: man stand entweder auf der einen oder auf der anderen Seite. Tertium non datur .
In erste Linie waren es jedoch Jahre, in denen jeder von uns den Eindruck hatte â und manchmal war es sehr viel mehr als nur ein Eindruck â den Lauf der Dinge ändern zu können. Es â als kleiner Niemand â zu schaffen anders zu sein .
In diesem Scherbenhaufen von Aufgeregtheit, Kultur und Gewalt bewegten wir uns in ruhigen Gewässern. Wir navigierten nach Sicht. Attentate, Bomben, die Roten Brigaden, sie waren in unserer Jugendzeit â oder als Teenager, je nachdem, in welchem Alter wir gerade waren â allgegenwärtig, aber im Grunde genommen beunruhigte uns das nicht allzu sehr. Wir hatten rasch gelernt, damit umzugehen, auf eine Art und Weise, die nicht sehr unterschiedlich zu der war, die ich in späteren Jahren bei Völkern antreffen sollte, die inmitten von Konflikten oder in Bürgerkriegsregionen lebten. Sie hatten ihr Leben an diese extremen Bedingungen angepasst, es war ein klein wenig vergleichbar mit unserem früheren Leben.
Mein Freund Alberto und ich wollten wirklich versuchen, anders zu sein. Daher hatten wir, gewappnet mit grenzenlosem Enthusiasmus und einem enormen Maà an Leichtsinn, in einem Alter, in dem die Jugend von heute die Zeit damit verbringt, Selfies über Instagram zu posten und Smartphones zu tauschen, alles gelesen, was wir erwischen konnten; wir nahmen an Musikvolksfesten teil â in jenem magischen Moment der die Geburtsstunde des Rock und dessen Verbreitung einläutete â bis zu Megakonzerten in Parks und im Filmforum.
Mit ähnlichen Gefühlen, den Kopf voller Ideen und einem Kassettenrecorder in der Tasche waren wir an jenem regnerischen Oktober vor vierzig Jahren auf dem Weg in Richtung Teatro San Babila.
Den Termin hatten wir um siebzehn Uhr, etwa eine Stunde vor Beginn der Nachmittagsaufführung. Man führte uns hinab in die Katakomben des Theaters, wo die Garderoben der Akteure waren, bis zu der des Hauptdarstellers. Dort wartete unser Interviewpartner, der erste in meiner âKarriereâ als Journalist: Peppino de Filippo.
Ich kann mich nicht an viele Details jenes Interviews erinnern und leider sind die Bänder der Aufzeichnung bei einem der zahllosen Umzüge im Laufe meines Lebens verlorengegangen.
Ich kann mich aber noch heute genau an diesen leichten elektrischen Schlag erinnern und an das energetische Prickeln, welches ihm vorausgeht â ich sollte es danach noch tausend Mal spüren â es war ein wichtiges Interview. Ein
Treffen von Bedeutung, denn jedes Interview ist weit mehr, als eine einfache Folge von Fragen und Antworten.
Peppino de Filippo stand am Ende einer Theater- und Filmkarriere, mit der er bereits zu jener Zeit Geschichte geschrieben hatte â er sollte nur wenige Jahre danach sterben. Er empfing uns, während er sich gleichzeitig weiter vor dem Spiegel schminkte. Er war freundlich, höflich und bereitwillig und er tat so, als sei es für ihn nichts Ungewöhnliches, sich zwei pickelige Jungens gegenüber zu sehen. Ich erinnere mich noch an seine ruhigen Bewegungen; er trug seine Theaterschminke mit Methode nach einem bestimmten Schema auf, das mir schwer und intensiv und sehr deutlich erschien. Insbesondere ist mir eines im Gedächtnis geblieben; die tiefe Traurigkeit in seinem Blick. Eine Traurigkeit, die mich tief traf, denn ich konnte sie tief in meinem Inneren spüren. Vermutlich spürte er, dass sein Leben zu Ende ging, oder es war nur eine Bestätigung für das, was man allen Komikern nachsagt, dass sie, die alle zum Lachen bringen in Wirklichkeit zu den traurigsten Menschen auf der Welt gehören.