Die Luft um Kamui begann sich zu drehen und formte einen Wirbelsturm aus fluoreszierend blauem Licht. Die schallende Stimme, die von seinen Lippen kam, klang älter und weiser, als sie es in ihrer Erinnerung je getan hatte. Sie erhob sich zum Himmel, ein beängstigendes Geräusch, das meilenweit zu hören war, und alle, die es vernehmen konnten, verbeugten sich unbewusst vor seiner Macht.
Tausend Jahre sollen vergehen
Solange warten wir dich wiederzusehen
Wenn das Blut eines Beschützers fließt zu Erden
Die Prophezeiung erfüllt soll werden
Es wird nur zwei Seelen wiederbeleben
Ihnen das Licht zurückgeben
Gegen die dunkle Macht der Nacht sollen sie kämpfen
Mit diesem Versprechen werden wir Unsterbliche die Waffen ergreifen
Denen, die wiedergeboren wurden, Schutz erteilen
In die Hände von Stein und Marmor wird der Feind geben
Den einzigen Wunsch, den er hat im Licht zu leben.
Der Wirbelwind kreiste um Kamui, als sich zwei schimmernde Federn aus den leuchtenden Flügeln lösten und sich wie zwei kleine Dolche mit den Spitzen nach unten drehten innerhalb des Zyklons gerade nach unten fielen und auf dem Grab landeten. Die glitzernden Federn steckten kurze Zeit in der Erde, ehe sie sich in den Boden senkten und sich mit den Seelen seiner Freunde verbanden.
Kamuis Knie trafen am Boden auf, als der Zauber verweht wurde, sodass in alle Richtungen eine Schockwelle entstand. Bis wir uns wiedersehen, Kyoko Toya, flüsterte Kamui, als er fühlte, wie die Einsamkeit ihn übermannte. Vielleicht wird das nächste Leben in einer besseren, viel helleren Zeit sein.
Shinbe stand still neben ihm, wollte nichts mehr, als selbst auch Tränen zu vergießen aber konnte sich diesen Luxus nicht leisten. Hyakuhei war noch dort draußen und er wusste, dass der Vampir mit dem schwarzen Herzen ihn letztendlich holen würde. Der Feind würde wissen, was sie getan hatten. Er würde so viele Spuren auslöschen, wie er konnte.
Indem er in seine Tasche griff, holte Shinbe ein kleines, violettes Fläschchen gefüllt mit zeitlosem, magischem Pulver hervor. Er streute es vorsichtig über den Boden, während er im Kreis um das Grab ging, um es vor allen neugierigen Blicken zu schützen. Der Boden wurde sofort wieder fest und verbarg die Stelle des frischen Grabes.
Shinbes Augen leuchteten in derselben violetten Farbe, als er Worte flüsterte, die nur er verstehen konnte.
Er fühlte eine zeitlose Verbindung zwischen Brüdern, die in einer ewigen Schlacht gegen die Finsternis gekämpft hatten, durch seine Seele schweben, um zu einem Symbol des Schutzes über dem Grab zu werden. Über dem Ort, wo seine Freunde ruhten, blühten Blumen, ohne dass Samen gesät worden waren. Blüten in fünf Farben erschienen auf dornigen Stängeln silbern golden eisblau violett und glitzernder Regenbogenstaub.
Ich muss mich verabschieden, sagte Shinbe nach langem Schweigen. Er wollte nicht, dass seine Anwesenheit den Aufenthaltsort der anderen verriet, und wusste, dass es Zeit war zu gehen. Sein Blick streifte wieder das Gebüsch mit den Blüten in den merkwürdigen Farben. Toya und Kyoko waren nun vor Hyakuhei geschützt und der Zauber würde nicht gestört werden.
Im Augenblick war das alles, was er ihnen bieten konnte, abgesehen von seiner Trauer.
Kamui sah hoch zu dem Zauberer, erschrocken über die neue Entwicklung. Was? Aber wieso? Seine Augen weiteten sich in einem panischen Moment würden ihn nun alle verlassen? War es nicht schon schlimm genug, Toya und Kyoko zu verlieren?
Als er Kamuis Angst fühlte, legte Shinbe eine beruhigende Hand auf die Schulter seines Freundes und versuchte zu erklären: Du weißt ebenso gut wie ich, dass Hyakuhei irgendwann herausfinden wird, was wir hier getan haben. Er blickte über Kamuis Schulter auf Kotaro, wissend, dass der Lykan verstehen würde, wieso er sie verließ.
Ihr werdet seinem immer aufmerksamen Blick entgehen können aber ich habe diese Macht nicht. Ich werde mich verstecken können, aber ich weiß nicht wie lange. Shinbe ließ ein langes Seufzen hören und sah hoch zu dem Mond, der tief am Himmel stand. Meine Tage sind nun gezählt Ein weiches Lächeln hob seine Mundwinkel, als ob er ein Geheimnis kannte. So soll es sein.
Ich werde mit dem nächsten Schiff nach Westen fahren, über den Ozean. Dort werde ich eine bessere Möglichkeit haben, meine Identität vor Hyakuhei geheim zu halten, und vielleicht finde ich sogar einen Weg, um meine eigene Seele gleichzeitig mit unseren lieben Freunden zu reinkarnieren. Er hoffte, dass es die Wahrheit war, was er da sagte. Sie würden ihn brauchen, wenn der Tag gekommen war.
Kamui schielte hinunter auf das Grab unter ihm und dann wieder hoch zu seinem Freund, zum ersten Mal, seit dieser Albtraum am Abend begonnen hatte, wieder ruhig. Er wollte nicht, dass Shinbe das nächste Opfer war, also verstand er, ja. Vorsichtig zog er eine Regenbogenfeder aus seinem rechten Flügel und drückte sie an Shinbes Hals.
Shinbe atmete scharf ein, als sie hell zu leuchten begann, ehe sie in seiner Haut verschwand. Er sah hinunter und erkannte den schwachen Umriss der Feder direkt über dem Kragen seines Umhangs.
Das wird dir helfen, wenn es soweit ist, sagte Kamui mit einem Lächeln und schenkte Shinbe eine verständnisvolle Umarmung. Er würde Shinbe nicht lange verlieren egal was geschah.
Wir werden uns wiedersehen, mein Freund, flüsterte Shinbe, ehe er sich aus Kamuis Umarmung löste. Er nickte Kotaro zu, wusste, dass der Lykan Kamui für sie alle beschützen würde. Shinbe schielte zurück zu dem Grab, dann riss er seinen Blick los und ließ sein Haar über sein Gesicht fallen, um seine Traurigkeit zu verbergen. So soll es sein, flüsterte er wieder und verschwand in der umgebenden Dunkelheit.
Bereit, mein Junge?, fragte Kotaro, wobei er dem Grab seinen Rücken zuwandte. Er wusste, dass er nicht bleiben konnte. Shinbe hatte recht je weiter weg sie waren, umso besser würde der Zauber geschützt sein.
Kamui wollte die Augen verdrehen darüber, wie Kotaro ihn genannt hatte, aber brachte es nicht übers Herz. Sein Herz war begraben in der Erde unter seinen Füßen und auch wenn er bis ans Ende der Zeit warten musste, er würde sehen, wie Hyakuhei für seine Taten büßte.
Ja, sagte Kamui und streifte einen Arm über seine Augen. Ich bin bereit.
Kotaro legte ihm einen Arm um die Schultern und führte ihn weg. Der Lykan hatte erkannt, dass er keine Tränen mehr für die Frau vergießen konnte, die er mit seinem gesamten Sein geliebt hatte. Seine Seele fühlte sich an, als hätte jemand sie ihm aus dem Leib gerissen, sie in kleine Stücke gerissen und nur die Hälfte davon zurückgegeben.
Wenn der Zauber, den Kamui und Shinbe erzeugt hatten, funktionierte, würde er seine geliebte Kyoko wiedersehen. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als er daran dachte, welche Streiche er und Toyas Reinkarnation sich überlegen würden, um ihre Liebe zu gewinnen. Er würde mit dem größten Vergnügen wieder um sie kämpfen, wenn es bedeutete, dass Toya zurückkam. Schließlich hatte sie sie beide geliebt.
Er unterdrückte den Drang, zum Grab zurückzublicken. Tausend Jahre sind eine lange Wartezeit, aber ich werde für dich da sein Kyoko.
*****
Über tausend Jahre in der Zukunft Heute.
Eine einsame Gestalt stand am Dach des höchsten Gebäudes, betrachtete die dicht bevölkerte Stadt unter ihm. Sein Gesicht zeigte nichts von der herzerweichenden Erinnerung an den Körper seines einzigen Bruders, der vor Jahrhunderten einsam und leblos auf dem kalten, harten Boden gelegen hatte. Sein einst warmes, schlagendes Herz in den Klauen des sadistischen Monsters, das sie beide erschaffen hatte.
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