Plötzlich ging es nicht mehr. Er kam zur Mutter und sah sie glückselig an. Dann spazierten sie nebeneinander.
«Sieh nur, Mutter«, rief Bambi,»da fliegt eine Blume davon!«
«Das ist keine Blume«, sagte die Mutter,»das ist ein Schmetterling.«
Jetzt sah Bambi, dass viele solcher Schmetterlinge in der Luft hinflogen. Bambi blickte ihnen allen nach. Sie glitten unaufhörlich ineinander.
Wie er dann wieder vor sich zu Boden sah, ergötzte ihn all das tausendfache Leben.
«Was ist das, Mutter?«fragte er.
«Das sind die Kleinen«, antwortete die Mutter.
«Sieh nur«, rief Bambi,»hier springt ein Stückchen Gras! Wie hoch es springt!«
«Das ist kein Gras«, erklärte die Mutter,»das ist ein gutes Heupferdchen.«
«Warum springt es so?«fragte Bambi.
«Weil wir da gehen«, antwortete die Mutter,»es fürchtet sich.«
«Oh!«
Bambi wandte sich zu dem Heupferdchen.
«Oh«, sagte Bambi,»Sie brauchen sich nicht zu fürchten[11].«
«Ich fürchte mich nicht«, erwiderte das Heupferdchen.»Ich sprach mit meiner Frau.«
«Entschuldigen Sie, bitte«, sagte Bambi,»wir haben Sie gestört[12].«
«Das macht nichts«, rasselte das Heupferdchen.»Weil Sie es sind, macht es nichts.«
«Ich bin nämlich heute zum erstenmal in meinem Leben auf der Wiese«, erzählte Bambi.»Die Mutter«
Das Heupferdchen murrte:
«Das interessiert mich nicht. Ich habe gar keine Zeit, mit Ihnen zu schwatzen. Ich muss jetzt meine Frau suchen. Hopp!«
«Hopp«, sagte Bambi.
Er lief zur Mutter:
«Ich habe mit ihm gesprochen!«
«Mit wem?«fragte die Mutter.
«Mit dem Heupferdchen«, erzählte Bambi,»ich habe mit ihm gesprochen. Es war so freundlich mit mir. Und es gefällt mir so gut. Es ist so wunderbar grün! Und am Ende ist es so durchsichtig.«
«Das sind die Flügel.«
«So? Und es ist freundlich. Und wie es springen kann! Hopp! sagt es und springt hoch.«
Sie gingen weiter. Bambi fühlte Hunger. Er gewahrte eine helle Blume. Nein, das war keine Blume, das war ja ein Schmetterling. Der Schmetterling hing träge an einem Halm.
«Bitte, bleiben Sie sitzen!«rief ihn Bambi an.
«Warum soll ich denn sitzen bleiben? Ich bin doch ein Schmetterling«, antwortete der Falter.
«Ach, bleiben Sie sitzen!«bat Bambi.»Ich will Sie in der Nähe sehen.«
«Aber nicht lange«, sagte der Weißling.
Bambi stand vor ihm.
«Wie schön Sie sind«, rief er,»wie wunderschön! Wie eine Blume!«
«Was?«Der Schmetterling klappte mit den Flügeln.»Wie eine Blume? Wir sind schöner als die Blumen.«
Bambi war verwirrt.
«Gewiss«, stotterte er,»viel schöner verzeihen Sie ich sage Wie zierlich Sie sind! Wie fein und zierlich! Ich verstehe jetzt, dass Sie schöner sind als die Blumen. Außerdem können Sie ja fliegen, und das können die Blumen nicht.«
«Genug«, sagte der Schmetterling.»Jetzt fliege ich fort!«
Das war die Wiese.
Tief im Dickicht gab es ein Plätzchen, das Bambis Mutter gehörte. Eine ganze enge Kammer war es, sehr eng und niedrig. Hier in dieser Kammer war Bambi zur Welt gekommen. Hier war seine und seiner Mutter Wohnung.
Die Mutter lag jetzt an die Erde und schlief. Bambi stand auf und blickte umher.
«Mutti, schläfst du?«
Nein, die Mutter schlief nicht.
«Was tun wir jetzt?«fragte Bambi.
«Nichts«, antwortete die Mutter,»wir bleiben, wo wir sind. Schlafe!«
Aber Bambi hatte keine Lust zu schlafen.
«Komm«, bat er,»komm auf die Wiese!«
Die Mutter hob das Haupt:
«Auf die Wiese? Jetzt auf die Wiese?«
«Kann man denn jetzt nicht auf die Wiese?«fragte Bambi.
«Nein«, antwortete die Mutter.»Nein, das ist jetzt nicht möglich.«
«Warum? Warum kann man jetzt nicht auf die Wiese?«
«Du wirst das später alles kennenlernen, wenn du etwas älter bist.«
«Aber warum. Mutti?«
«Später«, wiederholte die Mutter.»Jetzt bist du noch ein kleines Kind. Mit Kindern redet man nicht von solchen Dingen. Auf die Wiese Jetzt!«
«Und am Morgen?«
«Nur am frühen Morgen oder am späten Abend. Oder des Nachts.«
«Und nie bei Tag? Niemals?«
Die Mutter zögerte.
«Das ist gefährlich.«
Bambi schwieg.
«Wir müssen so leben«, sprach die Mutter weiter,»wir alle. Wenn wir auch den Tag lieben und wir lieben den Tag, wir müssen doch so leben, dass wir uns bei Tag stillhalten. Erst vom Abend bis zum Morgen dürfen wir umhergehen. Verstehst du das?«
«Ja.«
«Nun, mein Kind, hier sind wir sicher. So! Und nun schlafe.«
«Warum sind wir hier sicher?«fragte Bambi.
«Komm, setze dich zu mir«, sagte die Mutter,»ich will es dir erzählen.«
Bambi drückte sich eng an die Mutter. Er vergaß die Wiese. Und er schlief ein.
Eines Abends mit seiner Mutter ging Bambi auf die Wiese. Er sah zwei lange Ohren. Bambi stutzte, aber die Mutter sagte:
«Das ist unser Freund Hase.«
«Guten Abend, junger Herr«, sagte der Hase.
Bambi nickte.
«Was für ein hübscher junger Prinz!«sagte der Hase zur Mutter.»Ich beglückwünsche Sie! Das wird einmal ein prächtiger Prinz, ja, ja, ja.«
«Guten Abend«, sagte Bambi.
Die Mutter lächelte:
«Der gute Hase so schlicht und so bescheiden.«
Es war Sympathie in ihren Worten.
Bambi spazierte ein wenig umher. Plötzlich hörte er ein feines Rauschen auf der Wiese. Dort drüben, am anderen Saume des Waldes, huschte etwas durchs Gras. Ein Wesen nein zwei! Bambi wollte entfliehen. Die Mutter hob das Haupt.
«Was ist denn?«rief sie.
Bambi war sprachlos. Er fand keine Worte und stammelte nur:
«Dort dort«
Die Mutter schaute hinüber.
«Ach so«, sagte sie,»das ist meine Base. Ena hat zwei Kinder wirklich zwei.«
Bambi stand und gaffte.
«Komm«, sagte die Mutter,»da ist einmal Gesellschaft für dich.«
Bambi ging. Die Mutter redete weiter.
«Ich wusste doch, dass Ena auch ein Kind hat. Aber dass es zwei Kinder sind«sagte die Mutter.
Die Tante war sehr freundlich.
«Ja«, sprach sie,»das ist nun Gobo, und das ist Faline. Ihr könnt immer miteinander spielen.«
Die Kinder standen steif. Gobo eng bei Faline, Bambi ihnen gegenüber. Keines rührte sich. Sie standen und gafften.
«Laß nur[13]«, sagte die Mutter,»sie werden sich schon befreunden.«
«Was für ein hübsches Kind«, erwiderte Tante Ena,»wahrhaftig, ganz besonders hübsch. So kräftig und so gut!«
Die Mutter sagte:
«Bambi ist mein erstes«
Die Kinder standen noch immer und betrachteten einander. Keines sagte ein Wort. Plötzlich machte Faline einen Sprung und fegte davon.
Augenblicklich stürzte sich Bambi hinter ihr her. Gobo folgte sogleich. Es ging prächtig[14]. Sie begannen zu schwatzen. Bambi erzählte, dass er mit dem guten Heupferdchen und mit dem Weißling gesprochen hatte.
«Hast du auch mit dem Goldkäfer geredet?«fragte Faline.
Nein, mit dem Goldkäfer hatte Bambi nicht gesprochen. Er wusste nicht, wer das war.
«Ich rede oft mit ihm«, sagte Faline.
«Mich hat der Häher geschimpft«, sagte Bambi.
«Wirklich?«staunte Gobo.»War der Häher so frech zu dir? Und mich hat der Igel in die Nase gestochen.«
«Wer ist der Igel?«fragte Bambi.
«Der Igel ist ein fürchterliches Geschöpf!«rief Faline.»Voll großer Stacheln am ganzen Körper. Und er ist sehr böse!«
«Glaubst du wirklich, dass er böse ist?«fragte Gobo.
«Er will mit niemandem reden«, sagte Faline.
«Vielleicht fürchtet er sich nur«, meinte Gobo.
Bambi fragte Gobo:
«Weißt du, was das ist die Gefahr?«
Gobo dachte nach.
«Die Gefahr«flüsterte er,»die Gefahr das ist etwas sehr Schlimmes.«
«Ja«, sagte Bambi,»etwas sehr Schlimmes aber was?«
Plötzlich rief Faline laut und fröhlich:
«Die Gefahr ist wenn man davonlaufen muss!«
Sie sprang fort. Bambi und Gobo sprangen ihr sogleich nach. Tante Ena hob das Haupt und rief zu ihren Kindern her:
«Gobo! Faline! Nun müssen wir bald gehen.«
Auch die Mutter mahnte Bambi:
«Komm jetzt! Es ist Zeit.«
«Noch eine Weile«, bat Faline,»noch eine kleine Weile.«
Bambi flehte:
«Bitte! Es ist so schön!«
«Es ist so schön noch eine Weile!«sagte Gobo.
Vom Walde her drang klopfendes Stampfen den Erdboden entlang. Äste knackten, Zweige rauschten. Wer war es? Sie sahen wohl aus wie Mutter und Tante Ena. Doch auf ihren Häuptern blitzte die Krone des Gehörns. Bambi war ganz betäubt. Der eine war kleiner, und auch seine Krone war geringer. Aber der andere war gebieterisch schön. Er trug das Haupt hoch, und hoch ragte darauf die Krone.