"Wie denkst du, Govinda," sprach einst auf diesem Bettelgang Siddhartha, "wie denkst du, sind wir weiter gekommen? Haben wir Ziele erreicht?"
Antwortete Govinda: "Wir haben gelernt, und wir lernen weiter. Du wirst ein groXer Samana sein, Siddhartha. Schnell hast du jede Xbung gelernt, oft haben die alten Samanas dich bewundert. Du wirst einst ein Heiliger sein, o Siddhartha."
Sprach Siddhartha: "Mir will es nicht so erscheinen, mein Freund. Was ich bis zu diesem Tage bei den Samanas gelernt habe, das, o Govinda, hXtte ich schneller und einfacher lernen kXnnen. In jeder Kneipe eines Hurenviertels, mein Freund, unter den Fuhrleuten und WXrfelspielern hXtte ich es lernen kXnnen."
Sprach Govinda: "Siddhartha macht sich einen Scherz mit mir. Wie hXttest du Versenkung, wie hXttest du Anhalten des Atems, wie hXttest du Unempfindsamkeit gegen Hunger und Schmerz dort bei jenen Elenden lernen sollen?"
Und Siddhartha sagte leise, als sprXche er zu sich selber: "Was ist Versenkung? Was ist Verlassen des KXrpers? Was ist Fasten? Was ist Anhaltendes Atems? Es ist Flucht vor dem Ich, es ist ein kurzes Entrinnen aus der Qual des Ichseins, es ist eine kurze BetXubung gegen den Schmerz und die Unsinnigkeit des Lebens. Dieselbe Flucht, dieselbe kurze BetXubung findet der Ochsentreiber in der Herberge, wenn er einige Schalen Reiswein trinkt oder gegorene Kokosmilch. Dann fXhlt er sein Selbst nicht mehr, dann fXhlt er die Schmerzen des Lebens nicht mehr, dann findet er kurze BetXubung. Er findet, Xber seiner Schale mit Reiswein eingeschlummert, dasselbe, was Siddhartha und Govinda finden, wenn sie in langen Xbungen aus ihrem KXrper entweichen, im Nicht-Ich verweilen. So ist es, o Govinda."
Sprach Govinda: "So sagst du, o Freund, und weiXt doch, dass Siddhartha kein Ochsentreiber ist und ein Samana kein Trunkenbold. Wohl findet der Trinker BetXubung, wohl findet er kurze Flucht und Rast, aber er kehrt zurXck aus dem Wahn und, findet alles beim alten, ist nicht weiser geworden, hat nicht Erkenntnis gesammelt, X ist nicht um Stufen hXher gestiegen."
Und Siddhartha sprach mit LXcheln: "Ich weiX es nicht, ich bin nie ein Trinker gewesen. Aber dass ich, Siddhartha, in meinen Xbungen und Versenkungen nur kurze BetXubung finde und ebenso weit von der Weisheit, von der ErlXsung entfernt bin wie als Kind im Mutterleibe, das weiX ich, o Govinda, das weiX ich."
Und wieder ein anderes Mal, da Siddhartha mit Govinda den Wald verlieX, um im Dorfe etwas Nahrung fXr ihre BrXder und Lehrer zu betteln, begann Siddhartha zu sprechen und sagte: "Wie nun, o Govinda, sind wir wohl auf dem rechten Wege? NXhern wir uns wohl der Erkenntnis? NXhern wir uns wohl der ErlXsung? Oder gehen wir nicht vielleicht im Kreise X wir, die wir doch dem Kreislauf zu entrinnen dachten?"
Sprach Govinda: "Viel haben wir gelernt, Siddhartha, viel bleibt noch zu lernen. Wir gehen nicht im Kreise, wir gehen nach oben, der Kreis ist eine Spirale, manche Stufe sind wir schon gestiegen."
Antwortete Siddhartha: "Wie alt wohl, meinst du, ist unser Xltester Samana, unser ehrwXrdiger Lehrer?"
Sprach Govinda: "Vielleicht sechzig Jahre mag unser Xltester zXhlen."
Und Siddhartha: "Sechzig Jahre ist er alt geworden und hat Nirwana nicht erreicht. Er wird siebzig werden und achtzig, und du und ich, wir werden ebenso alt werden und werden uns Xben, und werden fasten, und werden meditieren. Aber Nirwana werden wir nicht erreichen, er nicht, wir nicht. O Govinda, ich glaube, von allen Samanas, die es gibt, wird vielleicht nicht einer, nicht einer Nirwana erreichen. Wir finden TrXstungen, wir finden BetXubungen, wir lernen Kunstfertigkeiten, mit denen wir uns tXuschen. Das Wesentliche aber, den Weg der Wege finden wir nicht."
"MXgest du doch," sprach Govinda, "nicht so erschreckende Worte aussprechen, Siddhartha! Wie sollte denn unter so vielen gelehrten MXnnern, unter so viel Brahmanen, unter so vielen strengen und ehrwXrdigen Samanas, unter so viel suchenden, so viel innig beflissenen, so viel heiligen MXnnern keiner den Weg der Wege finden?"
Siddhartha aber sagte mit einer Stimme, welche so viel Trauer wie Spott enthielt, mit einer leisen, einer etwas traurigen, einer etwas spXttischen Stimme: "Bald, Govinda, wird dein Freund diesen Pfad der Samanas verlassen, den er so lang mit dir gegangen ist. Ich leide Durst, o Govinda, und auf diesem langen Samanawege ist mein Durst um nichts kleiner geworden. Immer habe ich nach Erkenntnis gedXrstet, immer bin ich voll von Fragen gewesen. Ich habe die Brahmanen befragt, Jahr um Jahr, und habe die heiligen Vedas befragt, Jahr um Jahr, und habe die frommen Samanas befragt, Jahr um Jahr. Vielleicht, o Govinda, wXre es ebenso gut, wXre es ebenso klug und ebenso heilsam gewesen, wenn ich den Nashornvogel oder den Schimpansen befragt hXtte. Lange Zeit habe ich gebraucht und bin noch nicht damit zu Ende, um dies zu lernen, o Govinda: dass man nichts lernen kann! Es gibt, so glaube ich, in der Tat jenes Ding nicht, das wir `Lernen' nennen. Es gibt, o mein Freund, nur ein Wissen, das ist Xberall, das ist Atman, das ist in mir und in dir und in jedem Wesen. Und so beginne ich zu glauben: dies Wissen hat keinen Xrgeren Feind als das Wissenwollen, als das Lernen."
Da blieb Govinda auf dem Wege stehen, erhob die HXnde und sprach: "MXgest du, Siddhartha, deinen Freund doch nicht mit solchen Reden beXngstigen! Wahrlich, Angst erwecken deine Worte in meinem Herzen. Und denke doch nur: wo bliebe die Heiligkeit der Gebete, wo bliebe die EhrwXrdigkeit des Brahmanenstandes, wo die Heiligkeit der Samanas, wenn es so wXre wie du sagst, wenn es kein Lernen gXbe?! Was, o Siddhartha, was wXrde dann aus alledem werden, was auf Erden heilig, was wertvoll, was ehrwXrdig ist?!"
Und Govinda murmelte einen Vers vor sich hin, einen Vers aus einer Upanishad:
"Wer nachsinnend, gelXuterten Geistes, in Atman sich versenkt, Unaussprechlich durch Worte ist seines Herzens Seligkeit."
Siddhartha aber schwieg. Er dachte der Worte, welche Govinda zu ihm gesagt hatte, und dachte die Worte bis an ihr Ende.
Ja, dachte er, gesenkten Hauptes stehend, was bliebe noch Xbrig von allem, was uns heilig schien? Was bleibt? Was bewXhrt sich? Und er schXttelte den Kopf.
Einstmals, als die beiden JXnglinge gegen drei Jahre bei den Samanas gelebt und ihre Xbungen geteilt hatten, da erreichte sie auf mancherlei Wegen und Umwegen eine Kunde, ein GerXcht, eine Sage: Einer sei erschienen, Gotama genannt, der Erhabene, der Buddha, der habe in sich das Leid der Welt Xberwunden und das Rad der Wiedergeburten zum Stehen gebracht. Lehrend ziehe er, von JXngern umgeben, durch das Land, besitzlos, heimatlos, weiblos, im gelben Mantel eines Asketen, aber mit heiterer Stirn, ein Seliger, und Brahmanen und FXrsten beugten sich vor ihm und wXrden seine SchXler.