Gleich darauf, da sich der Buddha zur Nachtruhe zurXckgezogen hatte, wendete sich Govinda zu Siddhartha und sprach eifrig: "Siddhartha, nicht steht es mir zu, dir einen Vorwurf zu machen. Beide haben wir den Erhabenen gehXrt, beide haben wir die Lehre vernommen. Govinda hat die Lehre gehXrt, er hat seine Zuflucht zu ihr genommen. Du aber, Verehrter, willst denn nicht auch du den Pfad der ErlXsung gehen? Willst du zXgern, willst du noch warten?"
Siddhartha erwachte wie aus einem Schlafe, als er Govindas Worte vernahm. Lange blickte er in Govindas Gesicht. Dann sprach er leise, mit einer Stimme ohne Spott: "Govinda, mein Freund, nun hast du den Schritt getan, nun hast du den Weg erwXhlt. Immer, o Govinda, bist du mein Freund gewesen, immer bist du einen Schritt hinter mir gegangen. Oft habe ich gedacht: Wird Govinda nicht auch einmal einen Schritt allein tun, ohne mich, aus der eigenen Seele? Siehe, nun bist du ein Mann geworden und wXhlst selber deinen Weg. MXgest du ihn zu Ende gehen, o mein Freund! MXgest du ErlXsung finden!"
Govinda, welcher noch nicht vXllig verstand, wiederholte mit einem Ton von Ungeduld seine Frage: "Sprich doch, ich bitte dich, mein Lieber! Sage mir, wie es ja nicht anders sein kann, dass auch du, mein gelehrter Freund, deine Zuflucht zum erhabenen Buddha nehmen wirst!"
Siddhartha legte seine Hand auf die Schulter Govindas: "Du hast meinen Segenswunsch XberhXrt, o Govinda. Ich wiederhole ihn: MXgest du diesen Weg zu Ende gehen! MXgest du ErlXsung finden!"
In diesem Augenblick erkannte Govinda, dass sein Freund ihn verlassen habe, und er begann zu weinen.
"Siddhartha!" rief er klagend.
Siddhartha sprach freundlich zu ihm: "Vergiss nicht, Govinda, dass du nun zu den Samanas des Buddha gehXrst! Abgesagt hast du Heimat und Eltern, abgesagt Herkunft und Eigentum, abgesagt deinem eigenen Willen, abgesagt der Freundschaft. So will es die Lehre, so will es der Erhabene. So hast du selbst es gewollt. Morgen, o Govinda, werde ich dich verlassen."
Lange noch wandelten die Freunde im GehXlz, lange lagen sie und fanden nicht den Schlaf. Und immer von neuem drang Govinda in seinen Freund, er mXge ihm sagen, warum er nicht seine Zuflucht zu Gotamas Lehre nehmen wolle, welchen Fehler denn er in dieser Lehre finde. Siddhartha aber wies ihn jedesmal zurXck und sagte: "Gib dich zufrieden, Govinda! Sehr gut ist des Erhabenen Lehre, wie sollte ich einen Fehler an ihr finden?"
Am frXhesten Morgen ging ein Nachfolger Buddhas, einer seiner Xltesten MXnche, durch den Garten und rief alle jene zu sich, welche als Neulinge ihre Zuflucht zur Lehre genommen hatten, um ihnen das gelbe Gewand anzulegen und sie in den ersten Lehren und Pflichten ihres Standes zu unterweisen. Da riss Govinda sich los, umarmte noch einmal den Freund seiner Jugend und schloss sich dem Zuge der Novizen an.
Siddhartha aber wandelte in Gedanken durch den Hain.
Da begegnete ihm Gotama, der Erhabene, und als er ihn mit Ehrfurcht begrXte und der Blick des Buddha so voll GXte und Stille war, fasste der JXngling Mut und bat den EhrwXrdigen um Erlaubnis, zu ihm zu sprechen. Schweigend nickte der Erhabene GewXhrung.
Sprach Siddhartha: "Gestern, o Erhabener, war es mir vergXnnt, deine wundersame Lehre zu hXren. Zusammen mit meinem Freunde kam ich aus der Ferne her, um die Lehre zu hXren. Und nun wird mein Freund bei den Deinen bleiben, zu dir hat er seine Zuflucht genommen. Ich aber trete meine Pilgerschaft aufs neue an."
"Wie es dir beliebt", sprach der EhrwXrdige hXflich.
"Allzu kXhn ist meine Rede," fuhr Siddhartha fort, "aber ich mXchte den Erhabenen nicht verlassen, ohne ihm meine Gedanken in Aufrichtigkeit mitgeteilt zu haben. Will mir der EhrwXrdige noch einen Augenblick GehXr schenken?"
Schweigend nickte der Buddha GewXhrung.
Sprach Siddhartha: "Eines, o EhrwXrdigster, habe ich an deiner Lehre vor allem bewundert. Alles in deiner Lehre ist vollkommen klar, ist bewiesen; als eine vollkommene, als eine nie und nirgends unterbrochene Kette zeigst du die Welt als eine ewige Kette, gefXgt aus Ursachen und Wirkungen. Niemals ist dies so klar gesehen, nie so unwiderleglich dargestellt worden; hXher wahrlich muss jedem Brahmanen das Herz im Leibe schlagen, wenn er, durch deine Lehre hindurch, die Welt erblickt als vollkommenen Zusammenhang, lXckenlos, klar wie ein Kristall, nicht vom Zufall abhXngig, nicht von GXttern abhXngig. Ob sie gut oder bXse, ob das Leben in ihr Leid oder Freude sei, mXge dahingestellt bleiben, es mag vielleicht sein, dass dies nicht wesentlich ist X aber die Einheit der Welt, der Zusammenhang alles Geschehens, das Umschlossensein alles GroXen und Kleinen vom selben Strome, vom selben Gesetz der Ursachen, des Werdens und des Sterbens, dies leuchtet hell aus deiner erhabenen Lehre, o Vollendeter. Nun aber ist, deiner selben Lehre nach, diese Einheit und Folgerichtigkeit aller Dinge dennoch an einer Stelle unterbrochen, durch eine kleine LXcke strXmt in diese Welt der Einheit etwas Fremdes, etwas Neues, etwas, das vorher nicht war, und das nicht gezeigt und nicht bewiesen werden kann: das ist deine Lehre von der Xberwindung der Welt, von der ErlXsung. Mit dieser kleinen LXcke, mit dieser kleinen Durchbrechung aber ist das ganze ewige und einheitliche Weltgesetz wieder zerbrochen und aufgehoben. MXgest du mir verzeihen, wenn ich diesen Einwand ausspreche."
Still hatte Gotama ihm zugehXrt, unbewegt. Mit seiner gXtigen, mit seiner hXflichen und klaren Stimme sprach er nun, der Vollendete: "Du hast die Lehre gehXrt, o Brahmanensohn, und wohl dir, dass du Xber sie so tief nachgedacht hast. Du hast eine LXcke in ihr gefunden, einen Fehler. MXgest du weiter darXber nachdenken. Lass dich aber warnen, du Wissbegieriger, vor dem Dickicht der Meinungen und vor dem Streit um Worte. Es ist an Meinungen nichts gelegen, sie mXgen schXn oder hXlich, klug oder tXricht sein, jeder kann ihnen anhXngen oder sie verwerfen. Die Lehre aber, die du von mir gehXrt hast, ist nicht eine Meinung, und ihr Ziel ist nicht, die Welt fXr Wissbegierige zu erklXren. Ihr Ziel ist ein anderes; ihr Ziel ist ErlXsung vom Leiden. Diese ist es, welche Gotama lehrt, nichts anderes."
"MXgest du mir, o Erhabener, nicht zXrnen", sagte der JXngling. "Nicht um Streit mit dir zu suchen, Streit um Worte, habe ich so zu dir gesprochen. Du hast wahrlich recht, wenig ist an Meinungen gelegen. Aber lass mich dies eine noch sagen: Nicht einen Augenblick habe ich an dir gezweifelt. Ich habe nicht einen Augenblick gezweifelt, dass du Buddha bist, dass du das Ziel erreicht hast, das hXchste, nach welchem so viel tausend Brahmanen und BrahmanensXhne unterwegs sind. Du hast die ErlXsung,vom Tode gefunden.