Seine Zeit war ausgefüllt von all ihren Einfällen, besonders aber von ihr selbst. Seine Dankbarkeit fand nur kärgliche Worte, aber sie lag in seinen Augen, in seiner Höflichkeit, die an Umfang noch zugenommen hatte; vor allem aber lag sie in seiner sorglichen Achtsamkeit. Er hatte Angst, das wieder zu verlieren, was so unerwartet gekommen war; oder daß irgend etwas Schaden nehmen könne. Seiner bescheidenen Natur schien das Glück unverdient.
Sie schmiegte sich auch immer enger an ihn. Sie hatte eine Formel gefunden, die sie häufig wiederholte: "Du bist mein Vater—und mehr!" Und eine andere: "Du hast die herrlichsten Augen von der Welt, und die gehören mir." Mit der Zeit gab sie manches von dem auf, womit sie sich beschäftigte; statt dessen wollte sie ihm vorlesen. Von klein auf hatte sie ihrem Vater vorgelesen; das sollte wieder aufgenommen werden. Sie las ihm englisch-amerikanische Bücher vor, besonders Verse. Sie hatte die klangvolle Vortragsweise, in der englische Verse gesprochen werden müssen, und machte sie wahr durch ihre eigene glaubwürdige Art. Sie hatte eine weiche Stimme, die die Worte behutsam und still wie aus der Erinnerung heraus anfaßte.
Als die Zeit fortschritt, mußten sie beide täglich zusammen ins Treibhaus. Die Blumen darin waren ihr Vorboten dessen, was in ihr wuchs; sie wollte jeden Tag nach ihnen sehen. "Ob sie wohl darüber reden?"
Und dann eines Tages, als das erste Anzeichen da war, daß der Winter hier von der Küste weichen wollte, und sie gemeinsam oben am sonnigen Hang das erste Grün gepflückt hatten, da merkte sie, daß sie schwach wurde; jetzt kam ihre große Stunde. Ohne sonderliche Schmerzen vorher, ihre Hand in seiner, gebar sie eine Tochter. Die gerade hatte sie sich gewünscht. Aber es war ihr nicht bestimmt, das Kind aufzuziehen; denn drei Tage später war sie tot.
* * * * *
Die neue Marit
Der Arzt befürchtete lange, Krog würde auch sterben. Rein an Überanstrengung. In seiner langen Einsamkeit war er nicht daran gewöhnt gewesen, sich so hinzugeben oder so unendlich viel zu empfangen, wie ihm das Zusammenleben mit ihr gebracht hatte. Erst ihr Tod offenbarte, wie schwach er geworden war, wie wenig Widerstandskraft er noch hatte. Der schwache Rest brauchte Monate, um sich so weit zu erholen, daß er die Nähe anderer Menschen ertrug. Man erzählte ihm, das Kind sei zu seiner Schwester gebracht. Sie fragten ihn, ob er es sehen möchte. Fast unwillig wandte er sich ab. Das erste, was er ernstlich erwog, als er sich kräftiger fühlte, war, sich von dem Geschäft zu befreien. Er beriet sich darüber mit "Onkel Klaus", einem Verwandten, einem wunderlichen alten Junggesellen, der allgemein so genannt wurde. Durch seine Vermittlung wurde das Geschäft veräußert. Nicht aber das Haus, in dem es sich befand,—das sollte in allen Teilen zur Erinnerung an sie unverändert bleiben.
Anders Krogs erster Gang war zur Kapelle und zum Grabe, und das griff ihn so an, daß er wieder krank wurde. Sobald er sich erholt hatte, gab er seine Absicht kund, auf Reisen zu gehen und fortzubleiben. Seine Schwester kam erschrocken zu ihm herüber; das sei doch wohl nicht wahr? "Du willst uns und das Kind doch nicht verlassen?"—"Ja, ich kann es in meinen eigenen Stuben nicht aushalten", antwortete er und brach in Tränen aus.—Aber er müsse doch auf jeden Fall das Kind erst sehen?—"Nein, nein! Das am allerwenigsten."
Er reiste ab, ohne es gesehen zu haben.
Aber natürlicherweise war es das Kind, das ihn wieder nach Hause zog. Als es drei Jahr alt war, wurde es photographiert,—und diese Photographie … solch einer Ähnlichkeit mit der Mutter, solchem kindlichen Liebreiz konnte er nicht widerstehen. Von Konstantinopel aus, wo er sich gerade aufhielt, schrieb er: "Jetzt habe ich bald drei Jahre gebraucht, um das, was ich in einem erlebt habe, noch einmal zu durchleben. Ich kann nicht sagen, daß ich es mir schon ganz zu eigen gemacht habe. Namentlich wird viel Neues hinzukommen, wenn ich die Stätten wiedersehe, wo wir zusammen waren. Aber soweit bin ich durch das tiefere Hineinleben dieser Jahre doch gekommen, daß ich diese Stätten nicht mehr scheue; im Gegenteil, ich sehne mich jetzt nach ihnen."
Die Begegnung mit der neuen Marit wurde ein Fest für ihn. Nicht sofort; denn zuerst hatte sie natürlich Angst vor dem fremden Mann mit den großen Augen. Aber es erhöhte seine Freude, wie sie vorsichtig, nach und nach ihm näher kam. Als sie schließlich auf seinen Knien saß mit den beiden neuen Puppen, einem Türken und einer Türkin, und ihm diese in die Nase steckte, damit er niesen sollte, weil die Tante das auch getan hatte, da sagte er mit Tränen in den Augen: "Ich habe nur eine Begegnung erlebt, die noch herrlicher war."
Sie siedelte also mit dem Kindermädchen in sein Haus über. Ihr erster gemeinschaftlicher Gang war zum Grabe der Mutter, auf das sie Blumen legen sollte. Das tat sie auch; aber sie wollte sie wiederhaben. Nichts half, was sie auch versuchten. Das Mädchen pflückte ihr schließlich andere; aber die wollte sie nicht; sie wollte ihre eignen. Sie mußten ihr also die Blumen lassen und die neuen aufs Grab legen. Er dachte: "Das ist nicht die Mutter."
Der Versuch wurde wiederholt. Jeden Tag sollte das Grab der Mutter mit Blumen geschmückt werden, und von ihr. Er teilte die Blumen in zwei Teile; die eine Hälfte trug er, die andere sie. Er wünschte, sie solle ihre hinlegen und seine wieder mit nach Hause nehmen. Aber es gelang nicht. Ja, schlimmer als das; denn als sie den Kirchhof verließen, bestand sie darauf, er sollte seine Blumen auch wieder mit nach Hause nehmen. Und er mußte nachgeben. Am nächsten Tage versuchte er etwas anderes. Sie trug ihre Blumen zu der Mutter Grab, er aber gab ihr Zuckerwerk, damit sie die Blumen liegen lassen sollte. Wirklich, sie gab die Blumen gegen das Zuckerwerk ab, das sie in den Mund steckte. Aber als sie gingen, wollte sie die Blumen auch noch haben. Das verstimmte ihn.
Dann kam er auf den Einfall, die Mutter fröre, Marit müsse sie zudecken. Da meinte sie, Mutter solle doch heraufkommen, in ihr eigenes Bett. Er hatte ihr nämlich gesagt, das leere Bett neben seinem sei Mutters, und sie fragte beständig, ob Mutter nicht bald komme. Sie könne nicht kommen, sagte er; sie liege da draußen und fröre. Das führte schließlich zum Ziel. Sie breitete selbst die Blumen über die Grabstätte und ließ sie liegen. Auf dem Heimweg wiederholte sie mehrmals: "Jetzt friert Mutter nicht mehr."
Er überlegte, was sie unter Mutter verstehen mochte. Er wünschte, sie solle die Bilder ihrer Mutter kennen, übte aber vorher ihren Sinn an Bildern von Tieren und Gegenständen. Dann ging er zu Bildern von seiner Schwester und von sich selbst und von Personen über, die sie kannte. Als sie damit ziemlich vertraut war, kam das erste Bild der Mutter an die Reihe. Es machte keine Schwierigkeiten; sie durfte noch mehrere sehen und lernte sie schnell von anderen unterscheiden. Nach Tisch, als sie schlafen ging, wollte sie Mutter im Arm haben. Er verstand sie erst nicht, und sie wurde ungeduldig. Da brachte er ihr das erste Bild der Mutter; sie nahm es gleich in den Arm, deckte es zu und schlief ein. Aber erst als sie mit vier Jahren einmal in der Küche eine Mutter sich um ihr krankes Kind mühen sah, überzeugte er sich, daß sie wußte, was eine Mutter sei; denn sie sagte: "Warum kommt meine Mutter nicht und zieht mich an und aus?"
Mit der Zeit wurden Vater und Tochter sehr gute Freunde. Noch mehr Freude aber machte es ihm, als sie groß genug war, daß er ihr von Mutter erzählen konnte. Von Mutter, die übers Meer herüber zu Vater gekommen sei und Maritchen mitgebracht habe. Wo Vater und Mutter zusammengegangen waren, gingen sie nun beide; jeden Spazierweg. Er ruderte sie, wie Mutter ihn gerudert hatte; sie fuhren zusammen zur Stadt, wie sie beide getan hatten. Dort saß Marit auf den Stühlen, die Mutter gekauft, und auf denen sie gesessen hatte. Bei Tisch hatte sie Mutters Platz, bei den Blumen im Treibhaus und im Garten war sie die Mutter, und sie half, wie Mutter es getan hatte. Ein gar kluges, schönes Kind! Mit dem roten Haar und der schimmernd weißen Haut der Mutter, mit ihren großen Augen und denselben fein geschwungenen Brauen. Vermutlich würde sie auch ihre gebogene Nase bekommen. Die Hände mit den langen Fingern hatte sie nicht von der Mutter, auch die Gestalt nicht. Der Übergang vom Kopf zum Nacken mit der sanften Neigung stammte eher vom Vater. Die Schultern hatten nicht die schöne geschwungene Linie wie der Mutter Schultern, sondern waren mehr abfallend, und die Arme flossen sanfter daraus hervor. Es trieb ihn jeden Abend nach oben, zuzusehen, wenn sie ausgezogen wurde. Die Verschmelzung des männlichen und des weiblichen Typus der Krogs, die bisher so selten gewesen, die aber schon teilweise von der Mutter repräsentiert worden war, gab es hier in der Vollendung. Marit schoß hoch auf, ihre Augen waren groß und der Kopf fein geformt.