Detailliert hieß, dass es etwas Technisches, schon fast Klinisches daran gab, an der Art, wie es gezeichnet wurde, aber da war noch mehr. Etwas an der Geometrie davon war einfach … irgendwie falsch, es schien Tiefen und Winkel zu haben, die man in so einer Zeichnung unmöglich hätte einfangen können.
„Aber das …“ Kevin wusste nicht, was er sagen sollte. Bewies das nicht, was passierte? Dachte jemand, dass er sich so etwas ausdenken konnte?
Anscheinend war Dr. Yalestrom nicht ganz überzeugt. Sie nahm das Bild wieder an sich und faltete es so sorgfältig, als ob sie vermeiden wollte, es noch einmal anzusehen. Kevin nahm an, die Eigenartigkeit seiner Zeichnung war zu viel für sie.
„Ich denke, es ist wichtig, dass wir über die Dinge sprechen, die du siehst“, sagte sie. „Glaubst du, diese Dinge sind echt?“
Kevin zögerte. „Ich bin … mir nicht sicher. Sie fühlen sich echt an, aber bisher haben mir viele Menschen gesagt, dass das nicht sein kann.“
„Das ergibt Sinn“, sagte Dr. Yalestrom. „Was du fühlst, kommt häufig vor.“
„Wirklich?“ Was er erlebte, fühlte sich überhaupt nicht normal an. „Ich dachte, meine Krankheit wäre selten.“
Dr. Yalestrom ging zu ihrem Tisch und legte Kevins Zeichnung in eine Akte. Sie nahm ein Notizblock und begann, sich Notizen zu machen. „Ist es wichtig, dass andere Menschen nicht das erleben, was du erlebst, Kevin?“
„Nein, das ist es nicht“, sagte Kevin. „Es ist nur, dass Dr. Markham sagte, das diese Krankheit wirklich nur wenige Menschen betrifft.“
„Das ist richtig“, stimmte Dr. Yalestrom zu. „Aber ich sehe viele Menschen, die Halluzinationen haben, aus ganz verschiedenen Gründen.“
„Sie glauben, ich werde verrückt“, riet Kevin. Jeder schien das zu denken. Sogar seine Mutter − sie war immerhin diejenige gewesen, die ihn hierher gebracht hatte, nachdem er darüber gesprochen hatte. Er fühlte sich dennoch nicht, als wenn er verrückt würde.
„Das ist kein Wort, das ich dafür benutzen würde“, sagte Dr. Yalestrom. „Ich glaube, dass oftmals das Verhalten, das wir als verrückt bezeichnen, aus einem guten Grund da ist. Häufig ergeben diese Gründe aber nur Sinn für die betroffenen Personen. Menschen flüchten sich in Vorstellungen, um sich vor Situationen zu schützen, die nicht oder nur schwer für sie zu handhaben sind, die … ungewöhnlich scheinen.“
„Sie glauben, das ist es, was ich mit diesen Visionen mache?“, fragte Kevin. Er schüttelte seinen Kopf. „Sie sind echt. Ich denke mir das nicht aus.“
„Darf ich dir sagen, was ich denke, Kevin? Ich glaube, ein Teil von dir hängt vielleicht an diesen ‚Visionen‘, weil es dir hilft zu glauben, dass du deine Krankheit aus einem bestimmten Grund bekommen hast. Ich glaube, dass für dich deine Krankheit durch diese ‚Visionen‘ vielleicht einen Sinn erhält. Die Bilder darin … es ist ein merkwürdiger Ort, der nicht der Normalität entspricht. Könnte das die Art darstellen, wie die Dinge sich verändert haben?“
„Ich glaube schon“, erwiderte Kevin. Er war nicht überzeugt. Die Dinge, die er gesehen hatte, drehten sich nicht um irgendeine Welt, in der er keine Krankheit hatte. Sie drehten sich um einen Ort, den er nicht verstand.
„Dann hast du das Gefühl des drohenden Untergangs mit Feuer und Licht“, erklärte Dr. Yalestrom. „Das Gefühl von Dingen, die zu Ende gehen. Du siehst sogar einen Countdown, einschließlich Zahlen.“
Die Zahlen waren nicht Teil eines Countdowns, das war einfach das langsame Pochen, das Stück für Stück schneller wurde. Kevin nahm an, dass er sie jetzt nicht davon überzeugen konnte. Wenn Erwachsene entschieden hatte, was die Wahrheit war, dann würde er ihre Meinung nicht ändern können.
„Was kann ich also tun?“, fragte Kevin. „Wenn Sie glauben, dass sie nicht echt sind, sollte ich sie dann nicht loswerden?“
„Willst du sie loswerden?“, fragte Dr. Yalestrom.
Kevin dachte darüber nach. „Ich weiß nicht. Ich glaube, sie sind vielleicht wichtig, aber ich habe nicht darum gebeten.“
„Genauso wie du auch nicht darum gebeten hast, eine degenerative Erkrankung des Gehirns zu haben“, sagte Dr. Yalestrom. „Vielleicht sind diese beiden Dinge miteinander verbunden, Kevin.“
Kevin hatte bereits darüber nachgedacht, dass seine Visionen irgendwie mit der Krankheit in Verbindung standen. Dass sie vielleicht sein Gehirn soweit verändert hatte, dass er für diese Visionen empfänglich war. Er dachte dennoch nicht, dass es das war, was die Psychologin meinte.
„Was kann ich tun?“, fragte Kevin erneut.
„Es gibt Dinge, die du tun kannst, die sie zwar nicht beseitigen, aber zumindest wärst du in der Lage, damit umzugehen.“
„Was zum Beispiel?“, fragte Kevin. Er musste zugeben, dass er einen Moment Hoffnung hatte. Er wollte nicht, dass diese Visionen ihm ständig im Kopf herumgingen. Er hatte nicht darum gebeten, Nachrichten zu erhalten, die niemand verstand und die ihn einfach nur verrückt erschienen ließen, wenn er darüber sprach.
„Du kannst versuchen Dinge zu finden, die dich von den Halluzinationen ablenken, wenn sie kommen“, sagte Dr. Yalestrom. „Du kannst versuchen dich selbst daran zu erinnern, dass das nicht echt ist. Wenn du Zweifel hast, dann finde Wege, das zu überprüfen. Vielleicht fragst du jemand anderen, ob er dasselbe sieht. Erinnere dich daran, es ist okay, zu sehen, was du siehst, aber wie du darauf reagierst, liegt an dir.“
Kevin nahm an, er konnte sich an all das erinnern. Dennoch half das nicht dabei, den schwachen Puls des Countdowns ruhiger zu stellen, der im Hintergrund trommelte und immer ein wenig schneller wurde.
„Und ich glaube, du musst es den Menschen erzählen, die es nicht wissen“, sagte Dr. Yalestrom. „Es ist nicht fair, sie darüber im Unklaren zu lassen.“
Sie hatte recht.
Und es gab eine Person, der er dringender als anderen davon erzählen musste.
Luna.
KAPITEL VIER
„Also“, sagte Luna, als sie und Kevin auf den Wegen des Lafayette Reservoir Erholungsparks umherliefen und Touristen und Familien auswichen, die ihren freien Tag genossen, „warum bist du mir aus dem Weg gegangen?“
Luna kam immer schnell zum Punkt. Das war eines der Dinge, die Kevin an ihr gefielen. Nicht, dass sie ihm so gefiel. Die Leute schienen das immer anzunehmen. Sie dachten, weil sie hübsch und blond war und wahrscheinlich Cheerleader-Material − wenn sie das nicht alles für absolut bescheuert halten würde − dass sie zweifellos ‚miteinander gingen‘. Sie nahmen einfach an, dass die Welt so funktionierte.
Sie waren nicht zusammen. Luna war seine beste Freundin. Die Person, mit der er die meiste Zeit außerhalb der Schule verbrachte. Wahrscheinlich die einzige Person auf der Welt, mit der er über fast alles reden konnte.
Außer über das hier.
„Ich war nicht …“, Kevin verstummte bei dem Blick auf Lunas Gesicht. Sie war gut im Starren. Kevin nahm an, dass sie das heimlich übte. Er hatte jeden, von Mobbern bis zu unhöflichen Ladeneigentümer zurückrudern sehen, nur damit sie sie nicht länger anstarrte. Wenn sie einen so anstarrte, war es unmöglich, sie anzulügen. „Okay, ich bin dir aus dem Weg gegangen, aber es gab einen Grund, Luna. Ich habe etwas … na ja, etwas von dem ich nicht weiß, wie ich es dir sagen soll.“
„Oh sei nicht dumm“, sagte Luna. Sie hatte eine leere Soda-Dose gefunden und trat sie den Weg hinunter, sie schubste sie von Fuß zu Fuß mit einer Routine, die davon kam, wenn man das viel zu oft tat. „Ich meine, wie schlimm kann es sein? Ziehst du um? Gehst du wieder auf eine andere Schule?“
Vielleicht erwischte sie etwas in seinem Ausdruck, denn sie wurde nach ein paar Sekunden still. Es lag etwas Verletzliches in der Stille, als würden beide um etwas drumherum redeten, um zu vermeiden, dass es brach. Dennoch musste er es tun. Sie konnten nicht für ewig hier herumlaufen.