Große Teile der Stadt lagen jetzt in Trümmern, doch Irrien war das egal. Was zerbrochen war, konnte mit genügend Sklaven unter seiner Peitsche wieder aufgebaut werden. Es konnte so wieder aufgebaut werden, wie er es wollte.
Natürlich gab es immer noch die Wünsche der anderen. Im Moment folgten sie ihm noch wie Haie einer Blutspur im Wasser oder wie Krieger oder Priester oder sonst jemand. Unter ihnen gab es auch Vertreter der anderen Steine aus Felldust. Sie plapperten über die Rollen die ihre Herren bei den Plünderungen spielen würden. Dann gab es da noch die Händler, die sich gegenseitig in den besten Angeboten, Irriens Plünderungen zurück ins Land des ewigen Staubs zurückzuführen, zu übertreffen versuchten.
Irrien versuchte, ihnen aus dem Weg zu gehen, doch immer wieder traten sie an ihn heran.
„Erster Stein“, sagte eine Gestalt. Er trug ein Priestergewand, um das er einen Gürtel aus Fingerknochen gebunden hatte. In seinem Bart prangten heilige Symbole, die er mit silbernen Drähten befestigt hatte. Mehrere Amulette aus Blutsteinen wiesen ihn als einen der Ranghöchsten seiner Art aus.
„Was kann ich für dich tun, Heiliger?“ fragte Irrien. Er rieb sich geistesabwesend die Schulter, während er sprach und hoffte, dass niemand den Grund für diese Handlung erriet.
Der Priester breitete seine Hände aus, auf denen bei jeder Bewegung seiner Fingerspitzen eintätowierte Runen zu tanzen begannen.
„Nicht für mich aber für die Götter. Sie haben uns den Sieg geschenkt. Wir sollten ihnen mit einer angemessenen Opfergabe danken.“
„Meinst du etwa, dass der Sieg nicht durch die Kraft meines Armes errungen wurde?“ fragte Irrien. Seine Stimme hatte etwas Drohendes. Er benutzte die Priester, wenn es ihm genehm war, aber würde sich nicht von ihnen kontrollieren lassen.
„Selbst die Stärksten müssen die Gunst der Götter anerkennen.“
„Ich werde darüber nachdenken“, sagte Irrien, wie auf so viele andere Anfragen, die ihm heute gestellt worden waren. Fragen nur um Aufmerksamkeit zu kriegen, Fragen nach Materialien und Fragen eines ganzen Aufgebots an Leuten, die ihren Teil an dem, was er errungen hatte, einforderten. Das war der Fluch eines jeden Anführers und gleichzeitig das Symbol seiner Macht. Jeder starke Mann, der zu ihm kam und ihn anbettelte war ein Eingeständnis, dass er sich nicht einfach nehmen durfte, was er wollte.
Sie begaben sich jetzt auf den Weg zurück zum Schloss. Irrien ging im Kopf durch, was jetzt zu tun sein würde, er überlegte, wo Reparaturen vonnöten sein würden und wo Monumente seiner Macht aufgestellt werden konnten. In Felldust würde eine Statue gestohlen oder zerstört werden, bevor sie vollendet werden konnte. Doch hier würde sie in Erinnerung an seinen Sieg für alle Zeiten stehen bleiben. Wenn er genesen war, würde es viel zu tun geben.
Er blickte zu der Verteidigungsanlage des Schlosses, als er und seine Leute sich ihr näherten. Sie war stark, stark genug, um gegen die gesamte Welt zu bestehen. Wenn nicht jemand seinen Leuten Einlass gewährt hätte, dann hätte die Verteidigung tatsächlich seine Armee verzweifeln lassen, was unausweichlich zu Konflikten unter seinen Männern geführt hätte.
Er schnipste mit den Fingern nach einem Diener. „Ich will, dass jeder Tunnel da unten zugemacht wird. Mir ist es egal, wie viele Sklaven dabei draufgehen. Wenn ihr damit fertig seid, kümmert euch um die Tunnel unter der Stadt. Ich habe keine Lust auf ein Mäuselabyrinth, in dem Leute ohne mein Wissen umherschleichen können.“
„Ja, Erster Stein.“
Er lief weiter ins Schloss. Dort wuselten bereits Diener in den Farben von Felldust umher. Doch andere schienen seine Nachricht noch nicht erhalten zu haben. Drei seiner Männer rissen an den Tapeten, brachen Steine aus den Augen von Statuen und stopften sich die Taschen voll.
Irrien trat zu ihnen, und er sah die Ehrerbietung, die er seinen Männern einzuflößen suchte, in ihren Augen.
„Was macht ihr da?“ fragte er.
„Wir treiben die Plünderung der Stadt weiter voran, Erster Stein“, antwortete einer. Er war jünger als die anderen zwei. Irrien vermutete, dass er sich erst kürzlich den Truppen angeschlossen hatte, aus Abenteuerlust. So wie so viele andere.
„Und hat euer Hauptmann euch gesagt, dass ihr mit den Raubzügen im Schloss fortfahren sollt?“ fragte Irrien. „Seid ihr hierher beordert worden?“
Ihre Gesichter verrieten ihm alles, was er wissen musste. Er hatte seinen Männern befohlen, die Plünderung der Stadt systematisch anzugehen, aber das hier widersprach dieser Logik. Er erwartete von seinen Kriegern Disziplin und was diese Männer hier an den Tag legten, war keine Disziplin.
„Ihr dachtet wohl, ihr könntet euch einfach alles, was ihr wollt, unter den Nagel reißen“, sagte Irrien.
„So läuft das eben in Felldust!“ protestierte einer der Männer.
„Ja“, stimmte Irrien zu. „Die Starken bedienen sich bei den Schwachen. Deshalb habe ich dieses Schloss eingenommen. Gerade versucht ihr, mich zu bestehlen. Glaubt ihr etwa ich sei schwach?“
Er war nicht länger im Besitz seines großen Schwerts – und selbst wenn er es gehabt hätte – bereitete seine Schulter ihm immer noch zu große Schmerzen, als dass er es hätte heben können – und so zog er stattdessen ein langes Messer hervor. Sein erster Hieb durchtrennte den Kieferknochen und dann den restlichen Schädel des Jüngsten unter den dreien.
Er raste herum und stieß den zweiten gegen die Wand, noch bevor dieser nach seinen eigenen Waffen greifen konnte. Irrien parierte einen Schwerthieb des Letzten und schlitzte ihm zurückschwingend mühelos die Kehle auf. Er stieß ihn von sich, als er zu Boden ging.
Derjenige, den er davor zurückgestoßen hatte, stand nun mit erhobenen Händen da.
„Bitte, Stein Irrien. Es war ein Fehler. Wir haben nicht nachgedacht.“
Irrien trat auf ihn zu und stach ohne ein weiteres Wort zu. Immer und immer wieder ließ er sein Messer in ihn dringen. Dabei hielt er den Schwächling aufrecht, sodass er nicht zu schnell zu Boden sinken konnte. Er scherte sich nicht darum, dass seine eigene Wunde dabei wieder zu schmerzen begann. Das hier war nicht nur eine Hinrichtung, es war ein Exempel.
Schließlich ließ er den Mann zusammenbrechen. Irrien wandte sich mit ausgebreiteten Händen herausfordernd den anderen zu.
„Glaubt hier irgendjemand, dass ich so schwach bin, dass ihr einfach irgendetwas von mir fordern könnt? Glaubt hier irgendjemand, mich einfach bestehlen zu können?“
Sie blieben natürlich stumm. Irrien überließ sie ihrem Entsetzen und machte sich auf den Weg zum Thronsaal.
Seinem Thronsaal.
Wo just diesem Moment sein Preis ihn erwarten würde.
*
Stephania zuckte zusammen, als Irrien den Thronsaal betrat. Sie hasste sich dafür. Sie kniete neben demselben Thron, den sie selbst noch vor kurzer Zeit besetzt hatte. Goldene Ketten hielten sie gefangen. Sie hatte an ihnen gerüttelt, als niemand im Saal gewesen war, doch vergebens.
Irrien kam auf sie zu, und Stephania zwang sich, ihre Angst hinunterzuschlucken. Er hatte sie geschlagen, ihr Ketten angelegt und dennoch hatte sie die Wahl. Sie konnte sich brechen lassen oder die Situation zu ihrem Vorteil wenden. Selbst in ihrer Lage würde sie einen Weg finden.
Neben Irriens Thron festgekettet zu sein, hatte schließlich seine Vorzüge. Es bedeutete, dass er vorhatte, sie zu behalten. Es bedeutete, dass seine Männer sie in Ruhe lassen würden, auch wenn sie Stephanias Zofen und Diener zu ihrem eigenen Vergnügen davongeschleppt hatten. Es bedeutete, dass sie sich noch immer im Zentrum des Geschehens befand, auch wenn sie darüber keine Kontrolle mehr hatte.