Er ging zurück zu der Stelle, wo der ehemalige Matrose noch immer lag. Sein Kopf hing über der Kante des Schiffs. Er dachte wahrscheinlich, dass er nicht weiter gehen würde. Irrien hatte bemerkt, dass sie immer hofften, dass die Dinge nicht noch schlimmer wurden, anstatt die Gefahr zu erkennen und sie zu bannen.
„Du hättest im Kampf sterben können“, sagte er mit noch immer gehobenem Schwert. „Du hättest als Mann sterben können und nicht als erbärmliches Opfer.“
Der Mann drehte sich um und starrte ihn an „Ihr habt gesagt… ihr habt gesagt, dass Ihr nicht daran glauben würdet.“
Irrien zuckte die Schultern. „Priester sind Dummköpfe, aber die Menschen glauben an ihren Unsinn. Wenn es sie dazu bringt, stärker zu kämpfen, warum sollte ich etwas dagegen haben?“
Er fixierte den Sklaven mit einem Stiefel und stellte sicher, dass ihn auch alle sehen konnten. Er wollte, dass jeder den Beginn seines Eroberungszuges sehen konnte.
„Ich weihe dich dem Tod“, rief er. „Dich und alle, die sich gegen uns stellen!“
Sein Schwert schoss durch die Luft und bohrte sich in die Brust und durch das Herz des erbärmlichen Mannes. Irrien wartete nicht. Er hob es erneut, und dieses Mal nutzte er die Henkersklinge für ihren eigentlichen Zweck. Es trennte den Hals des versklavten Matrosen sauber ab. Das tat er nicht aus Gnade sondern aus Stolz, denn der Erste Stein würde keine Waffe dulden, die nicht perfekt geschliffen war.
Er hob die noch blutige Klinge empor.
„Los!“
Hörner ertönten und der Himmel füllte sich mit Feuer als die Katapulte ihre Ladung abfeuerten und Schützen Pfeile in Richtung ihrer Feinde schossen. Kleine Schiffe machten sich auf den Weg.
Für einen Augenblick musste Irrien an diesen „Akila“ denken, den Mann, der dort stand und auf das Bevorstehende wartete. Er fragte sich, ob sein baldiger Feind gerade Angst hatte.
Das sollte er.
KAPITEL DREI
Thanos kniete über dem Körper seines Bruders, und für einen Moment oder zwei hatte er das Gefühl, dass die Welt stillstand. Er wusste nicht, was er in diesem Augenblick denken oder fühlen sollte. Er wusste nicht, was er als nächstes tun sollte.
Er hatte erwartet, dass sich mit Lucious’ Tod ein Gefühl des Triumphs einstellen würde oder wenigstens Erleichterung, dass es nun endlich vorbei war. Er hatte erwartet, dass er nun endlich das Gefühl haben würde, dass die Menschen die ihm wichtig waren, in Sicherheit waren.
Doch stattdessen wallte Kummer in Thanos auf und er vergoss Tränen für einen Bruder, der sie wahrscheinlich niemals verdient hatte. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Das was zählte war, dass Lucious sein Halbbruder gewesen war und dass er es nun nicht mehr war.
Er war tot und Thanos’ Dolch steckte in seinem Herzen. Thanos konnte Lucious’ Blut an seinen Händen spüren. Es schien so viel davon in einem einzigen Körper zu fließen. Ein Teil von ihm hatte erwartet, dass dieses Blut anders sein würde, dass er darin eine Erklärung für den Wahnsinn finden würde, der von Lucious Besitz ergriffen hatte oder das gierige Böse, das ihn so ganz ausgefüllt hatte. Doch Lucious war nichts als eine stille und leere Hülle.
Thanos wollte nun etwas für seinen Bruder tun; sehen, wie er begraben wurde oder ihn wenigstens einem Priester anvertrauen. Noch als er darüber nachdachte, erkannte er jedoch, dass er das nicht konnte. Seines Bruders eigene Worte machten es unmöglich.
Felldust überfiel gerade das Reich, und wenn Thanos irgendetwas unternehmen wollte, um den Menschen, die ihm wichtig waren zu helfen, dann musste er jetzt gehen.
Er stand auf, nahm sein Schwert und machte sich bereit, zur Tür zu laufen. Er nahm auch Lucious’ Schwert an sich. Von all den Dingen die seinem Bruder wichtig gewesen waren, waren die Instrumente der Gewalt wohl die wichtigsten. Thanos hielt beide Schwerter in den Händen und stellte überrascht fest, wie gut sie zusammenpassten. Er war beinahe überrascht, als er feststellte, dass einige Wirtshausgäste sich ihm in den Weg stellten.
„Er hat gesagt, dass du Prinz Thanos bist“, sagte ein Mann mit buschigem Bart und fingerte an seinem Messer herum. „Stimmt das?“
„Die Steinen werden für einen Gefangenen, wie du es bist, eine ordentliche Summe hinblättern“, sagte ein anderer.
Ein dritter nickte. „Und wenn sie es nicht tun, dann eben die Sklavenhalter.“
Sie kamen auf ihn zu, und Thanos zögerte weitere Sekunde. Er griff an. Seine Schulter rammte den Nächststehenden, sodass er gegen den Tisch gestoßen wurde. Thanos schwang bereits sein Schwert und ritzte den Arm des Messermannes auf.
Thanos hörte, wie er aufschrie, als die Klinge in seinen Vorderarm drang, aber da hatte er sich schon dem dritten zugewandt. Er verpasste diesem einen Tritt, dass er in eine Gruppe aus vier Männern flog, die sich auch dann nicht von ihrem Würfelspiel hatten abbringen lassen, als er sich seinen Kampf mit Lucious geliefert hatte. Einer von ihnen zischte und drehte sich um, um sich den Ganoven zu greifen.
Innerhalb weniger Sekunden schaffte das Gasthaus etwas, zu dem es nicht im Stande gewesen war, als Lucious sich seinen Kampf geliefert hatte: es brach in einen großangelegte Schlägerei aus. Männer, die sich zuvor damit zufrieden gegeben hatten, zuzusehen, wie Thanos sich mit seinem Bruder einen Schwertkampf geliefert hatte, ließen jetzt die Fäuste fliegen und Messer tanzen. Einer griff nach einem Stuhl und zielte auf Thanos’ Kopf. Thanos wich zur Seite aus, schlug einen Teil Holz ab bevor er im selben Zug sein Schwert gegen einen weiteren Gast erhob.
Er hätte bleiben können, doch der Gedanke an die Gefahr, in der Ceres schweben konnte, ließ ihn die Flucht antreten. Er war sich so sicher gewesen, die Invasion aufhalten zu können, wenn er Lucious nur rechtzeitig erwischte. Er hatte geglaubt, dann noch genügend Zeit zu haben, um die Wahrheit über seine Eltern herauszufinden, den Beweis, den er brauchte bevor er nach Delos zurücksegelte. Jetzt hatte er für nichts davon mehr Zeit.
Thanos rannte auf die Tür zu. Er ließ sich auf den Boden fallen und schlitterte unter den grabschenden Händen eines Mannes hindurch, der versuchte ihn aufzuhalten. Dabei schürfte er sich einen Oberschenkel auf. Dann rannte er hinaus auf die Straßen…
… und bekam es mit einem der schlimmsten Staubstürme zu tun, die Thanos seit seiner Ankunft in der Stadt hatte erfahren müssen. Er wurde jedoch nicht langsamer. Er verstaute nur seine Zwillingsschwerter in seinem Gürtel, zog sein Tuch über den Mund und bahnte sich so gut es ging, seinen Weg nach vorne.
Thanos konnte hören, wie hinter ihm Männer versuchten, ihm zu folgen, auch wenn er nicht wusste, wie sie hoffen konnten, ihm bei diesem Wetter einholen zu können. Thanos tastete sich wie ein Blinder voran, kam erst an einem Händler vorbei, der gerade seinen Wagen belud und dann an zwei Soldaten, die über den Staub fluchend in einer Tür verschwanden.
„Schau dir diesen Verrückten an!“ hörte Thanos einen in der Sprache Felldusts rufen.
„Wahrscheinlich versucht er sich noch schnell den Truppen anzuschließen. Ich habe gehört, dass der Vierte Stein Vexa angefangen hat, noch eine weitere Flotte klar zu machen, während die anderen drei schon im Einsatz sind. Der Erste Stein hat sie sich einfach unter den Nagel gerissen.“
„Das tut er doch immer“, antwortete der erste.
Doch da war Thanos auch schon wieder im Staub verschwunden. Er versuchte sich an den Umrissen der Gebäude zu orientieren und hielt nach Straßenschildern Ausschau, die von Öllampen erleuchtet wurden. Es gab auch welche, die in Stein gemeißelt worden waren und wohl den Einheimischen ermöglichen sollten, ihren Weg von der Straße des Zerlegten Bären zur Straße der Verknoteten Schlangen allein durch ertasten der Namen zu finden, sollten sie es brauchen.