Es fühlte sich an wie eine malerische Gegend, als sie zahlreiche gewundene Seitengässchen mit lustigen Namen wie „Windgoose Lane“ und „Old Swan Lane“ und „Garlick Hill“ und „Bread Street Hill“ passierten. Tatsächlich lag der Duft von Speisen überall in der Luft, und Caitlin spürte ihren Magen knurren. Auch Ruth winselte, und sie wusste, dass sie Hunger hatte. Doch sie sah nirgendwo einen Ort, der Essen verkaufte.
„Ich weiß, Ruth“, sagte Caitlin mitfühlend. „Ich werde uns bald etwas zu Essen finden, versprochen.“
Sie gingen weiter und weiter. Caitlin wusste nicht genau, wonach sie suchte, genauso wie Caleb. Sie hatte immer noch das Gefühl, dass das Rätsel sie überall hin führen konnte, und sie hatten keine konkrete Spur. Sie kamen tiefer und tiefer in das Herz der Stadt hinein, und sie war immer noch nicht sicher, in welche Richtung sie gehen sollte.
Gerade als Caitlin sich langsam müde, hungrig und mürrisch fühlte, kamen sie an eine riesige Straßenkreuzung. Sie hielt an und blickte hoch. Ein grobes hölzernes Schild verkündete „Grace Church Street“. Ein schwerer Fischgeruch hing hier in der Luft.
Sie blieb entnervt stehen und drehte sich zu Caleb herum.
„Wir wissen nicht einmal, wonach wir suchen“, sagte sie. „Da steht etwas von einer Brücke. Doch ich habe noch nirgendwo auch nur eine Brücke gesehen. Verschwenden wir hier nur unsere Zeit? Sollten wir irgendwie anders an die Sache herangehen?“
Caleb tippte ihr plötzlich auf die Schulter und deutete.
Langsam drehte sie sich herum und war von dem Anblick schockiert.
Die Grace Church Street führte zu einer gewaltigen Brücke, eine der größten Brücken, die sie je gesehen hatte. Ihr Herz füllte sich mit neuer Hoffnung. Auf einem riesigen Schild darüber stand „London Bridge“, und ihr Herz schlug schneller. Diese Straße war breiter, eine Hauptverkehrsader, und Menschen, Pferde und Verkehr jeglicher Art strömte auf die Brücke hinauf und wieder herunter.
Wenn sie wirklich nach einer Brücke suchen sollten, dann hatten sie sie eindeutig gefunden.
*
Caleb nahm ihre Hand und führte sie auf die Brücke zu, sich in den Verkehr einordnend. Sie blickte hoch und war vom Anblick überwältigt. Sie war anders als jede Brücke, die sie je gesehen hatte. Ihr Eingang war gekennzeichnet durch ein riesiges, gewölbtes Tor, mit Wachen zu beiden Seiten. Auf ihrer Spitze waren mehrere Spieße angebracht, auf denen abgetrennte Köpfe steckten, Blut aus den Hälsen tropfend, auf der Brücke aufgespießt. Es war ein gräulicher Anblick, und Caitlin wandte sich ab.
„Ich erinnere mich an das hier“, seufzte Caleb. „Aus vergangenen Jahrhunderten. So haben sie immer ihre Brücken geschmückt: mit den Köpfen der Gefangenen. Sie tun es als Warnung an andere Verbrecher.“
„Es ist furchtbar“, sagte Caitlin, während sie ihren Kopf gesenkt hielt, und sie bestiegen rasch die Brücke.
Am Fuß der Brücke verkauften Buden und Händler Fisch, und als Caitlin hinüberblickte, sah sie Boote anlegen und Arbeiter, immer wieder abrutschend, Fische über die schlammigen Ufer tragen. Der Zugang zur Brücke stank nach Fisch, so stark, dass sie sich die Nase zuhalten musste. Fische jeder Art, manche noch zappelnd, lagen auf kleinen, behelfsmäßigen Tischchen aufgebreitet.
„Schnapper, drei Pence pro Pfund!“, rief jemand aus.
Caitlin eilte vorbei und versuchte, dem Gestank zu entkommen.
Als sie weitergingen, überraschte sie die Brücke erneut, als sie entdeckte, dass sie voller Läden war. Kleine Buden und Händler säumten die Brücke zu beiden Seiten, während Fußverkehr, Vieh, Pferde und Kutschen sich durch die Mitte drängten. Es war eine chaotische, überfüllte Szene, und Menschen riefen in alle Richtungen, um ihre Waren zu verkaufen.
„Gerberei hier!“, rief jemand aus.
„Wir häuten ihr Tier!“, rief ein anderer.
„Kerzenwachs hier! Feinstes Kerzenwachs!“
„Dachdecker!“
„Holt euch hier euer Feuerholz!“
„Frische Federkiele! Federn und Pergament!“
Als sie weiter vorankamen wurden die Läden feiner, manche verkauften sogar Schmuck. Caitlin musste an die goldene Brücke in Florenz denken, an ihre Zeit mit Blake, das Armband, das er für sie gekauft hatte.
Momentan von Emotionen übermannt trieb sie zur Seite ab, hielt sich am Geländer fest und blickte hinaus. Sie dachte an all die Leben, die sie bereits gelebt hatte, all die Orte, an denen sie gewesen war, und sie fühlte sich überwältigt. War all dies wirklich wahr? Wie konnte eine Person so viele Leben gelebt haben? Oder würde sie von all dem hier aufwachen, in ihrer Wohnung in New York City, und einfach denken, dass dies nur der längste, verrückteste Traum ihres Lebens gewesen war?
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Caleb, der sich zu ihr gesellte. „Was ist los?“
Rasch wischte Caitlin eine Träne weg. Sie kniff sich in den Arm und erkannte, dass sie nicht träumte. Es war alles real. Und das war das Schockierendste überhaupt.
„Nichts“, sagte sie rasch und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. Sie hoffte, dass er ihre Gedanken nicht lesen konnte.
Caleb stand neben ihr, und gemeinsam blickten sie mitten auf die Themse hinaus. Sie war ein breiter Fluss, völlig verstopft vom Schiffsverkehr. Segelschiffe jeder Größe navigierten ihren Weg hindurch, teilten die Gewässer mit Ruderbooten, Fischerbooten und jeder Art von Gefährt. Es war eine belebte Wasserstraße, und Caitlin staunte über die Größe all der unterschiedlichen Gefährte und Segel, manche davon dutzende Meter hoch in die Lüfte ragend. Sie wunderte sich, wie still das Wasser war, selbst mit so vielen Schiffen darauf. Es gab keinen Lärm von Motoren, keine Motorboote. Da war nur das Geräusch von Segeltuch, das im Wind flatterte. Es entspannte sie. Die Luft hier, mit der beständigen Brise, war auch frisch, endlich frei von Gerüchen.
Sie wandte sich Caleb zu und sie zogen gemeinsam weiter über die Brücke, Ruth an ihren Fersen. Ruth begann wieder zu winseln, und Caitlin konnte ihren Hunger spüren und wollte stehenbleiben. Doch wohin sie auch blickte, konnte sie immer noch keine Nahrung sehen. Sie selbst wurde immer hungriger.
Als sie die Mitte der Brücke erreicht hatten, war Caitlin erneut von dem Anblick vor ihr schockiert. Sie dachte nicht, dass es noch irgendetwas gab, das sie nach dem Anblick all der Köpfe auf den Spießen noch schockieren konnte—doch das hier tat es.
Mitten auf der Brücke standen drei Gefangene auf einem Gerüst, Schlingen um den Hals, mit verbundenen Augen, kaum bekleidet und noch am Leben. Ein Henker stand hinter ihnen, mit schwarzer Kapuze mit Schlitzen für seine Augen.
„Die nächste Hinrichtung findet um ein Uhr statt!“, schrie er aus. Eine dichte und wachsende Menge versammelte sich um das Gerüst, scheinbar wartend.
„Was haben sie angestellt?“, fragte Caitlin ein Mitglied der Menge.
„Sie wurden beim Stehlen erwischt, Miss“, sagte er und machte sich nicht einmal die Mühe, sie anzusehen.
„Einer wurde dabei erwischt, wie er die Königin verleumdete!“, fügte eine alte Dame hinzu.
Caleb führte sie weg von dem grausamen Anblick.
„Hinrichtungen anzuschauen scheint hier ein täglicher Zeitvertreib zu sein“, kommentierte Caleb.
„Es ist grausam“, sagte Caitlin. Sie wunderte sich darüber, wie anders diese Gesellschaft war verglichen mit der modernen Zeit, wie viel mehr sie Grausamkeit und Gewalt tolerierte. Und dies war London, einer der zivilisiertesten Orte von 1599. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie die Welt außerhalb einer zivilisierten Stadt wie dieser aussah. Es verblüffte sie, wie stark sich die Gesellschaft, und ihre Regeln, verändert hatten.
Endlich waren sie am anderen Ende der Brücke angelangt, und als sie an ihrem Fuß standen, auf der anderen Seite, wandte Caitlin sich an Caleb. Sie blickte auf ihren Ring und las erneut vor: