Doch Altfor war schnell, seine Hand schloss sich über der ihren und schleuderte das Messer zu Boden. Er stieß sie grob zurück, sodass sie auf dem Boden landete während er über ihr thronte. Er blickte finster zu ihr hinab, und nur die Hand Moiras, die ihn zurückzog, hielt ihn davon ab, schlimmeres zu tun.
„Vergesst nicht, dass sie zum Adel gehört solange sie Eure Frau ist“, flüsterte Moira. „Wenn Ihr ihr etwas antut, dann wird man Euch wie einen Kriminellen behandeln.“
„Glaube nicht, dass du mir sagen kannst, was ich tun soll“, sagte Altfor zu Moira, die sich nun noch näher zu ihm beugte.
„Ich sage Euch nicht, was Ihr tun sollt, ich gebe Euch nur einen Rat, mein Lord, mein Herzog. Mit einer Frau und irgendwann einem Erben und dem Recht auf Eurer Seite könnt Ihr viel mehr erreichen.“
„Und warum sollte das für dich eine Rolle spielen?“ fragte Altfor und blickte zu ihr.
Wenn Moira diese Frage verletzte, dann zeigte sie es nicht. Der Blick, den sie der noch immer auf dem Boden liegenden Genoveva zuwarf, war vielmehr triumphierend.
„Weil Euer Bruder, mein Ehemann, fort ist, und ich lieber die Liebhaberin eines mächtigen Mannes bin als eine Frau ohne Macht“, sagte Moira. „Und Ihr… Ihr seid der mächtigste Mann, den ich jemals getroffen habe.“
„Und deshalb sollte ich dich meiner Frau vorziehen?“ fragte Altfor. „Warum sollte ich einen Ableger meines Bruders wollen?“
Selbst Genoveva kam das wie ein grausames Spiel vor nachdem sie ihn bereits mit Moira erwischt hatte.
Doch was immer Moira wirklich empfand, versteckte sie sorgfältig.
„Komm mit mir“, schlug sie vor, „und ich werde deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen während deine Männer alle jene töten, die es verdient haben. Deine Männer, nicht die deines Onkels.“
Das räumte den letzten Zweifel aus, und Altfor zog sie zu sich, um sie zu küssen, auch wenn Genoveva und zwei weitere Wachen ihnen dabei zusahen. Er griff Moiras Arm und zog sie in Richtung des Ausgangs der großen Halle. Genoveva sah, wie Moira einen letzten Blick zurück warf, und die Grausamkeit in ihrem Lächeln schickte einen kalten Schauer über Genovevas Rücken.
Doch Genoveva war das in diesem Moment egal. Es war ihr egal, dass Altfor sie gleich auf eine Weise betrügen würde, wie er sie schon viele Male betrogen haben musste. Ihr war es egal, dass sein Onkel sie beinahe getötet hatte oder dass die beiden sie als Unannehmlichkeit empfanden.
Das einzige, worum sie sich jetzt sorgte, war die Sicherheit ihrer Schwester, und sie musste einen Weg finden, ihr zu helfen bevor es zu spät war. Altfor hatte vor, sie zu töten, und sie hatte keine Ahnung, wann genau es geschehen würde.
Kapitel drei
Royce rannte durch den Wald und spürte, wie die Äste unter seinen Füßen knackten. Er hielt die Hülle seines Schwertes an seiner Seite umklammert, sodass es nicht gegen einen der Bäume schlug. Ohne das Pferd, das er gestohlen hatte, war er nicht schnell genug. Aber musste er schneller sein.
Angetrieben von Gedanken an die Menschen, die ihm am Herzen lagen, rannte er noch schneller. Die Rote Insel hatte ihn gelehrt, weiter zu rennen egal wie schnell das Herz in seiner Brust hämmerte oder seine Beine schmerzten. Er hatte den Hürdenlauf auf der Insel überlebt. Sich selbst dazu zu zwingen, schneller und weiter zu rennen, war dagegen ein Klacks.
Die Schnelligkeit und Stärke, die er besaß, halfen ihm dabei. Bäume sausten auf beiden Seiten an ihm vorbei, Äste schrammten über seine Arme, doch Royce ignorierte all das. Er hörte, wie die Tiere des Waldes vor dem etwas, das da durch ihr Territorium rannte, davonhuschten, und er wusste, dass er einen anderen Weg finden musste, schneller voranzukommen. Wenn er weiterhin so viel Lärm machte, dann würde er jeden Soldaten des Herzogtums auf den Plan rufen.
„Lass sie nur kommen“, flüsterte Royce sich selbst zu. „Ich werde sie alle töten.“
Ein Teil von ihm wollte genau das und noch mehr tun. Ihm war es gelungen, den Herzog zu töten, der ihn und seine Freunde in den Kampfgraben geschickt hatte; er hatte es geschafft, die Wachen zu töten, die ihn angegriffen hatten… doch wusste er auch, dass er es unmöglich mit einem ganzen Land aus Feinden aufnehmen konnte. Selbst die stärksten, schnellsten und gefährlichsten Männer konnten es allein nicht mit mehr als ein paar Feinden gleichzeitig aufnehmen, denn es gab schlicht zu viele Winkel, durch die die feindlichen Klingen zu ihnen dringen konnten.
„Ich werde einen Weg finden, etwas zu unternehmen“, sagte Royce. Er wurde etwas langsamer und bewegte sich jetzt mit mehr Vorsicht durch den Wald. Er versuchte, die Ruhe des Waldes auf diesem Wege so wenig wie möglich zu stören. Er konnte nun die Vögel und Tiere hören. Was ihm zuvor wie eine riesige leere Stille vorgekommen war, entpuppte sich jetzt als eine Landschaft aus Geräuschen, die alles auszufüllen schienen.
Was konnte er tun? Sein erster Instinkt war es gewesen, so schnell wie möglich loszulaufen, dorthin, wo kein Mensch mehr lebte und das Reich der Picti begann. Er hatte darüber nachgedacht, zu verschwinden, einfach zu verschwinden, denn was hielt ihn noch in dieser Welt?
Seine Gedanken flogen kurz zu Genoveva und dem Moment, in dem sie vom Rand des Grabens scheinbar vollkommen gleichgültig zu ihm hinabgestarrt hatte. Er drängte dieses Bild zur Seite, denn er wollte jetzt nicht an Genoveva denken. Was sie getan hatte, schmerzte zu sehr. Warum sollte er also nicht dorthin verschwinden, wo kein Mensch mehr lebte?
Ein Grund war Mark. Sein Freund war im Graben verwundet worden, doch ob Mark tatsächlich tot war, hatte Royce nicht feststellen können. Ein Teil von ihm wollte glauben, dass Mark irgendwie überlebt hatte, schließlich hatte man die Spiele ziemlich abrupt abgebrochen. Würde der Adel nicht einen weiteren Kampf mit ihm sehen wollen, wenn dies möglich war? Würden sie seinen Freund nicht so lange wie möglich zu ihrer eigenen Vergnügung ausbeuten wollen?
„Er muss noch am Leben sein“, sagte Royce, „er muss es einfach.“
Selbst in seinen eigenen Ohren klang das so, als wollte er sich damit selbst überzeugen. Royce schüttelte den Kopf, und während er versuchte, sich zu orientieren, setzte er seinen Weg durch den Wald fort. Er hatte das Gefühl erst etwas unternehmen zu können, wenn er zuhause angekommen war. Er würde das Dorf finden, und dann, wenn er einmal in Sicherheit war, würde er einen Plan machen. Er würde entscheiden, ob er die Flucht ergreifen, Mark finden oder eine Armee, die es mit der des Herzogs aufnehmen konnte, zusammenstellen sollte.
„Vielleicht denke ich mir auch einfach irgendwas aus“, sagte Royce während er weiter rannte. Er bewegte sich jetzt mit der Geschwindigkeit eines flüchtenden Tieres fort. Dabei lief er leicht gebückt und hielt sich an das dicke Blattwerk der Bäume ohne dabei Geschwindigkeit einzubüßen.
Er kannte den Wald und all die Pfade, denn er hatte mehr Zeit als genug mit seinen Brüdern hier verbracht. Sie hatten einander durch den Wald getrieben und kleine Tiere gejagt. Jetzt war er der einzige, der getrieben und gejagt wurde und versuchte, einen Weg zu finden, sich aus seiner Lage zu befreien. Er war sich ziemlich sicher, dass er sich in der Nähe eines Jagdreviers befand, das ihn an der Hütte eines Köhlers vorbei zu einem kleinen Fluss und schließlich zu seinem Dorf führen würde.
Royce schlug diese Route durch das Unterholz ein und wurde durch ein entferntes Geräusch aus seinen Gedanken gerissen. Es war nicht laut, aber es war da: das Geräusch von Füßen, die sich mühelos über den unebenen Boden bewegten. Ihm wäre das gar nicht aufgefallen, wenn er nicht mit seinen Brüdern so viel Zeit in diesen Wäldern verbracht hätte oder auf der Roten Insel gelernt hätte, dass überall Gefahren lauern konnten.