Einst hat der Prior viel Merkwürdiges mit mir gesprochen über das profane Leben. Ich fühlte mich erglühen. Der Konzertmeister hatte eine Schwester, nicht schön, aber doch, in der höchsten Blüte stand. Es war ein reizendes Mädchen. Sie hatte die schönsten Arme, den schönsten Busen in Form und Kolorit.
Eines Morgens, als ich zum Konzertmeister gehen wollte, überraschte ich die Schwester im leichten Morgenanzug, mit beinahe ganz entblößter Brust. Schnell warf sie zwar das Tuch über, aber doch schon zu viel hatten meine gierigen Blicke erhascht. Ich konnte kein Wort sprechen. Meine Brust war krampfhaft zusammengepresst und wollte zerspringen. Jetzt bei der verfänglichen Frage des Priors sah ich des Konzertmeisters Schwester mit entblößtem Busen vor mir stehen. Ich fühlte den warmen Hauch ihres Atems, den Druck ihrer Hand meine innere Angst stieg mit jedem Moment. Leonardus sah mich mit einem gewissen ironischen Lächeln an, vor dem ich erbebte. Ich konnte seinen Blick nicht ertragen, ich schlug die Augen nieder, da klopfte mich der Prior auf die glühenden Wangen und sprach:
»Ich sehe, mein Sohn, dass Sie mich gefasst haben und dass es noch gut mit Ihnen steht. Der Herr bewahrt Sie vor der Verführung der Welt. Die Genüsse sind von kurzer Dauer.«
Ein Abend sollte diesen zweifelhaften Zustand entscheiden. Der Konzertmeister hat mich zu einer musikalischen Unterhaltung eingeladen. Außer seiner Schwester waren noch mehrere Frauenzimmer, und dieses steigerte die Befangenheit, die mir schon bei der Schwester allein den Atem versetzte. Sie war sehr reizend gekleidet, sie kam mir schöner als je vor. Das sah eins von den Frauenzimmern, die ging zu des Konzertmeisters Schwester und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Nun schauten sie beide auf mich und lachten höhnisch! Ich war wie vernichtet, ein Eisstrom goß sich durch mein Inneres. Ich war im Begriff, mich durch das Fenster zu stürzen. Zum Glück verhinderten mich die Eisenstäbe daran, mein Zustand war in der Tat entsetzlich.
Eine innere Scham, die ich nicht überwinden konnte, hielt mich zurück, ihm die Wahrheit zu sagen. Dagegen erzählte ich ihm mit dem Feuer die wunderbaren Begebenheiten meiner Kinderjahre. Leonardus hörte mich ruhig an, und ohne gerade gegen meine Visionen Zweifel vorzubringen, schien er doch sie nicht sonderlich zu beachten. Leonardus sprach sanft lächelnd:
»Mein Sohn, der Unglaube ist der ärgste Aberglaube«, und fing ein anderes Gespräch von fremden, gleichgültigen Dingen an.
Meine Mutter schrieb mir, dass der weltgeistliche Stand mir nicht genügen, sondern dass ich das Klosterleben erwählen werde. Auch die Fürstin war mit meinem Vorhaben ganz einverstanden. Beide sah ich noch einmal vor meiner Einkleidung und sehr bald erfolgte. Ich nahm auf Veranlassung der Vision meiner Mutter den Klosternamen Medardus an.
»Worüber erfreuest du dich so, mein Bruder?« fragte Cyrillus.
»Soll ich denn nicht froh sein, wenn ich der Welt und ihrem Tand entsage?« antwortete ich.
Doch dies war die letzte Anwandlung irdischer Selbstsucht.
Schon fünf Jahre war ich im Kloster, als nach der Verordnung des Priors mir der Bruder Cyrillus die Aufsicht über die reiche Reliquienkammer des Klosters übergeben sollte. Der Bruder Cyrillus machte mich mit jedem Stück sowie mit den Dokumenten bekannt. Er stand rücksichts der geistigen Ausbildung unserm Prior an der Seite.
»Sollten denn, lieber Bruder Cyrillus«, sagte ich, »alle diese Dinge wahrhaftig das sein, wofür man sie ausgibt? Sollte auch hier nicht die betrügerische Habsucht manches untergeschoben haben, was nun als wahre Reliquie dieses oder jenes Heiligen gilt?[6]«
Dem Bruder Cyrillus entging diese Wirkung seiner Rede nicht. Er fuhr nun fort, mit größerem Eifer und mit sprechender Innigkeit mir die Sammlung Stück vor Stück zu erklären. Endlich nahm er aus einem wohlverschlossenen Schranke ein Kistchen heraus und sagte:
»Hierinnen, lieber Bruder Medardus! ist die geheimnisvollste, wunderbarste Reliquie enthalten, die unser Kloster besitzt. Solange ich im Kloster bin, hat dieses Kistchen niemand in der Hand gehabt als der Prior und ich. Ich kann die Kiste nicht ohne inneren Schauer anrühren. Das, was darinnen enthalten, stammt unmittelbar von dem Widersacher her, aus jener Zeit, als er noch sichtlich gegen das Heil der Menschen kämpfen konnte.«
Dir ist das Leben des heiligen Antonius zur Genüge bekannt. Du weißt, dass er in die Wüste zog, um sich von allem Irdischen zu entfernen, um seine Seele ganz dem Göttlichen zuzuwenden. Der Widersacher verfolgte ihn und trat ihm oft sichtlich in den Weg, um ihn in seinen frommen Betrachtungen zu stören. So kam es denn, dass der heilige Antonius einmal in der Abenddämmerung eine finstere Gestalt wahrnahm, die auf ihn zuschritt. In der Nähe erblickte er zu seinem Erstaunen, dass aus den Löchern des zerrissenen Mantels Flaschenhälse hervorguckten. Es war der Widersacher, der in diesem seltsamen Aufzug ihn höhnisch anlächelte. Er fragte, ob er nicht von den Elixieren kosten konnte. Der heilige Antonius war nicht mehr imstande, sich auf irgendeinen Kampf einzulassen. Er fragte ihn, warum er denn so viele Flaschen und auf solche besondere Weise bei sich trug. Da antwortete der Widersacher:
»Siehe, wenn mir ein Mensch begegnet, so schaut er mich verwundert an. Unter so vielen Elixieren findet er ja wohl eins, was ihm recht mundet, und er säuft die ganze Flasche aus und wird trunken und ergibt sich mir[7].
So weit steht das in allen Legenden. In diesem Kistchen befindet sich nun aus dem Nachlass des heiligen Antonius eine solche Flasche mit einem Teufelselixier. Die Dokumente sind so authentisch und genau, dass wenigstens daran, dass die Flasche wirklich nach dem Tod des heiligen Antonius unter seinen Sachen gefunden wurde, kaum zu zweifeln ist. Übrigens kann ich versichern, lieber Bruder Medardus! dass, so oft ich die Flasche berühre, mich ein unerklärliches inneres Grauen anwandelt. Ich spüre ganz seltsamen Duft, der mich betäubt und zugleich eine innere Unruhe des Geistes. Dir, lieber Bruder Medardus, der du noch so jung bist, der du noch alles in glänzenderen, lebhafteren Farben erblickst, der du noch wie ein tapferer, aber unerfahrner Krieger zwar rüstig im Kampf, aber vielleicht zu kühn, deiner Stärke zu sehr vertraust, rate ich, das Kistchen öffnete man niemals oder wenigstens erst nach Jahren.«
Der Bruder Cyrillus verschloß die geheimnisvolle Kiste wieder in den Schrank und übergab mir den Schlüsselbund. Als Cyrillus mich verlassen hat, übersah ich noch einmal die mir anvertrauten Heiligtümer, dann löste ich aber das Schlüsselchen ab und versteckte es tief unter meinen Skripturen im Schreibpulte.
Der Heiligentag kam heran, die Kirche war besetzter als gewöhnlich. Am Anfang blieb ich meiner Handschrift getreu. Leonardus sagte mir nachher, dass ich mit zitternder Stimme gesprochen habe. Bald aber war es, als strahle der glühende Funke himmlischer Begeisterung durch mein Inneres. Ein religiöser Wahn hat die Stadt ergriffen, alles strömte bei irgendeinem Anlass, auch an gewöhnlichen Wochentagen, nach dem Kloster, um den Bruder Medardus zu sehen, zu sprechen.
Da keimte in mir der Gedanke auf, ich bin ein besonders Erkorner des Himmels.
Es war mir nun gewiss, dass der alte Pilgram in der heiligen Linde der heilige Joseph, der wunderbare Knabe aber das Jesuskind selbst gewesen, das in mir den Heiligen begrüßt hat. Leonardus wurde sichtlich kälter gegen mich. Er vermied, mit mir ohne Zeugen zu sprechen, aber endlich brach er los: