Der Antichrist - Фридрих Ницше страница 2.

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In einem andren Sinne giebt es ein fortwährendes Gelingen einzelner Fälle an den verschiedensten Stellen der Erde und aus den verschiedensten Culturen heraus, mit denen in der That sich ein höherer Typus darstellt: Etwas, das im Verhältniss zur Gesammt-Menschheit eine Art Übermensch ist. Solche Glücksfälle des grossen Gelingens waren immer möglich und werden vielleicht immer möglich sein. Und selbst ganze Geschlechter, Stämme, Völker können unter Umständen einen solchen Treffer darstellen.

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Man soll das Christenthum nicht schmücken und herausputzen: es hat einen Todkrieg gegen diesen höheren Typus Mensch gemacht, es hat alle Grundinstinkte dieses Typus in Bann gethan, es hat aus diesen Instinkten das Böse, den Bösen herausdestillirt, — der starke Mensch als der typisch Verwerfliche, der» verworfene Mensch«. Das Christenthum hat die Partei alles Schwachen, Niedrigen, Missrathnen genommen, es hat ein Ideal aus dem Widerspruch gegen die Erhaltungs-Instinkte des starken Lebens gemacht; es hat die Vernunft selbst der geistigstärksten Naturen verdorben, indem es die obersten Werthe der Geistigkeit als sündhaft, als irreführend, als Versuchungen empfinden lehrte. Das jammervollste Beispiel — die Verderbniss Pascals, der an die Verderbniss seiner Vernunft durch die Erbsünde glaubte, während sie nur durch sein Christenthum verdorben war!

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Es ist ein schmerzliches, ein schauerliches Schauspiel, das mir aufgegangen ist: ich zog den Vorhang weg von der Verdorbenheit des Menschen. Dies Wort, in meinem Munde, ist wenigstens gegen Einen Verdacht geschützt: dass es eine moralische Anklage des Menschen enthält. Es ist — ich möchte es nochmals unterstreichen — moralinfrei gemeint: und dies bis zu dem Grade, dass jene Verdorbenheit gerade dort von mir am stärksten empfunden wird, wo man bisher am bewusstesten zur» Tugend«, zur» Göttlichkeit «aspirirte. Ich verstehe Verdorbenheit, man erräth es bereits, im Sinne von décadence: meine Behauptung ist, dass alle Werthe, in denen jetzt die Menschheit ihre oberste Wünschbarkeit zusammenfasst, décadence — Werthe sind.

Ich nenne ein Thier, eine Gattung, ein Individuum verdorben, wenn es seine Instinkte verliert, wenn es wählt, wenn es vorzieht, was ihm nachtheilig ist. Eine Geschichte der» höheren Gefühle«, der» Ideale der Menschheit«— und es ist möglich, dass ich sie erzählen muss — wäre beinahe auch die Erklärung dafür, weshalb der Mensch so verdorben ist.

Das Leben selbst gilt mir als Instinkt für Wachsthum, für Dauer, für Häufung von Kräften, für Macht — wo der Wille zur Macht fehlt, giebt es Niedergang. Meine Behauptung ist, dass allen obersten Werthen der Menschheit dieser Wille fehlt, — dass Niedergangs-Werthe, nihilistische Werthe unter den heiligsten Namen die Herrschaft führen.

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Man nennt das Christenthum die Religion des Mitleidens. — Das Mitleiden steht im Gegensatz zu den tonischen Affekten, welche die Energie des Lebensgefühls erhöhn: es wirkt depressiv. Man verliert Kraft, wenn man mitleide

vom Gesichtspunkte einer Philosophie aus, welche nihilistisch war, welche die Verneinung des Lebens auf ihr Schil

wird das Leben verneint, verneinungs-wügemacht, — Mitleiden ist die Praxis des Nihilismus. Nochmals gesagt: dieser depressive und contagiöse Instinkt kreuzt jene Instinkte, welche auf Erhaltung und Werth-Erhöhung des Lebens aus sind: er ist ebenso als Multiplikator des Elends wie als Conservator alles Elenden ein Hauptwerkzeug zur Steigerung der décadence — Mitleiden überredet zum Nichts!… Man sagt nicht» Nichts«: man sagt dafür» Jenseits«; oder» Gott«; oder» das wahre Leben«; oder Nirvana, Erlösung, Seligkeit… Diese unschuldige Rhetorik aus dem Reich der religiös-moralischen Idiosynkrasie erscheint sofort viel weniger unschuldig, wenn man begreift, welche Tendenz hier den Mantel sublimer Worte um sich schlägt: die lebensfeindliche Tendenz. Schopenhauer war lebensfeindlich: deshalb wurde ihm das Mitleid zur Tugend… Aristoteles sah, wie man weiss, im Mitleiden einen krankhaften und gefährlichen Zustand, dem man gut thäte, hier und da durch ein Purgativ beizukommen: er verstand die Tragödie als Purgativ. Vom Instinkte des Lebens aus müsste man in der That nach einem Mittel suchen, einer solchen krankhaften und gefährlichen Häufung des Mitleides, wie sie der Fall Schopenhauers (und leider auch unsrer gesammten litterarischen und artistischen décadence von St. Petersburg bis Paris, von Tolstoi bis Wagner) darstellt, einen Stich zu versetzen: damit sie platzt… Nichts ist ungesunder, inmitten unsrer ungesunden Modernität, als das christliche Mitleid.

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