In einem andren Sinne giebt es ein fortwährendes Gelingen einzelner Fälle an den verschiedensten Stellen der Erde und aus den verschiedensten Culturen heraus, mit denen in der That sich ein höherer Typus darstellt: Etwas, das im Verhältniss zur Gesammt-Menschheit eine Art Übermensch ist. Solche Glücksfälle des grossen Gelingens waren immer möglich und werden vielleicht immer möglich sein. Und selbst ganze Geschlechter, Stämme, Völker können unter Umständen einen solchen Treffer darstellen.
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Man soll das Christenthum nicht schmücken und herausputzen: es hat einen Todkrieg gegen diesen höheren Typus Mensch gemacht, es hat alle Grundinstinkte dieses Typus in Bann gethan, es hat aus diesen Instinkten das Böse, den Bösen herausdestillirt, — der starke Mensch als der typisch Verwerfliche, der» verworfene Mensch«. Das Christenthum hat die Partei alles Schwachen, Niedrigen, Missrathnen genommen, es hat ein Ideal aus dem Widerspruch gegen die Erhaltungs-Instinkte des starken Lebens gemacht; es hat die Vernunft selbst der geistigstärksten Naturen verdorben, indem es die obersten Werthe der Geistigkeit als sündhaft, als irreführend, als Versuchungen empfinden lehrte. Das jammervollste Beispiel — die Verderbniss Pascals, der an die Verderbniss seiner Vernunft durch die Erbsünde glaubte, während sie nur durch sein Christenthum verdorben war!
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Es ist ein schmerzliches, ein schauerliches Schauspiel, das mir aufgegangen ist: ich zog den Vorhang weg von der Verdorbenheit des Menschen. Dies Wort, in meinem Munde, ist wenigstens gegen Einen Verdacht geschützt: dass es eine moralische Anklage des Menschen enthält. Es ist — ich möchte es nochmals unterstreichen — moralinfrei gemeint: und dies bis zu dem Grade, dass jene Verdorbenheit gerade dort von mir am stärksten empfunden wird, wo man bisher am bewusstesten zur» Tugend«, zur» Göttlichkeit «aspirirte. Ich verstehe Verdorbenheit, man erräth es bereits, im Sinne von décadence: meine Behauptung ist, dass alle Werthe, in denen jetzt die Menschheit ihre oberste Wünschbarkeit zusammenfasst, décadence — Werthe sind.
Ich nenne ein Thier, eine Gattung, ein Individuum verdorben, wenn es seine Instinkte verliert, wenn es wählt, wenn es vorzieht, was ihm nachtheilig ist. Eine Geschichte der» höheren Gefühle«, der» Ideale der Menschheit«— und es ist möglich, dass ich sie erzählen muss — wäre beinahe auch die Erklärung dafür, weshalb der Mensch so verdorben ist.
Das Leben selbst gilt mir als Instinkt für Wachsthum, für Dauer, für Häufung von Kräften, für Macht — wo der Wille zur Macht fehlt, giebt es Niedergang. Meine Behauptung ist, dass allen obersten Werthen der Menschheit dieser Wille fehlt, — dass Niedergangs-Werthe, nihilistische Werthe unter den heiligsten Namen die Herrschaft führen.
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Man nennt das Christenthum die Religion des Mitleidens. — Das Mitleiden steht im Gegensatz zu den tonischen Affekten, welche die Energie des Lebensgefühls erhöhn: es wirkt depressiv. Man verliert Kraft, wenn man mitleide
vom Gesichtspunkte einer Philosophie aus, welche nihilistisch war, welche die Verneinung des Lebens auf ihr Schil
wird das Leben verneint, verneinungs-wü