Фридрих Ницше - Der Wanderer und sein Schatten стр 6.

Шрифт
Фон

Ist aber der eine ein Stammhaupt oder hat er großen Anhang, so ist die schnelle entscheidende Vernichtung unwahrscheinlich und die dauernde langeFehdezu gewärtigen: diese aber bringt der Gemeinde den am wenigsten wünschbaren Zustand mit sich, weil sie durch ihn die Zeit verliert, für ihren Lebensunterhalt mit der nötigen Regelmäßigkeit zu sorgen, und den Ertrag aller Arbeit jeden Augenblick bedroht sieht. Deshalb zieht die Gemeinde vor, ihre Macht zu Verteidigung und Angriff genau auf die Höhe zu bringen, auf der die Macht des gefährlichen Nachbars ist, und ihm zu verstehen zu geben, daß in ihrer Wagschale jetzt gleich viel Erz liege: warum wolle man nicht gut Freund miteinander sein? —Gleichgewichtist also ein sehr wichtiger Begriff für die älteste Rechts- und Morallehre; Gleichgewicht ist die Basis der Gerechtigkeit. Wenn diese in roheren Zeiten sagt:»Auge um Auge, Zahn um Zahn«, so setzt sie das erreichte Gleichgewicht voraus und will es vermöge dieser Vergeltungerhalten:so daß, wenn jetzt der eine sich gegen den andern vergeht, der andere keine Rache der blinden Erbitterung mehr nimmt. Sondern vermöge des jus talionis wird das Gleichgewicht der gestörten Machtverhältnissewiederhergestellt:denn ein Auge, ein Armmehrist in solchen Urzuständen ein Stück Macht, ein Gewichtmehr.  — Innerhalb einer Gemeinde, in der alle sich als gleichgewichtig betrachten, ist gegen Vergehungen, das heißt gegen Durchbrechungen des Prinzips des Gleichgewichts,SchandeundStrafeda: Schande, ein Gewicht, eingesetzt gegen den übergreifenden einzelnen, der durch den Übergriff sich Vorteile verschafft hat, durch die Schande nun wieder Nachteile erfährt, die den früheren Vorteil aufheben undüberwiegen.Ebenso steht es mit der Strafe: sie stellt gegen das Übergewicht, das sich jeder Verbrecher zuspricht, ein viel größeres Gegengewicht auf, gegen Gewalttat den Kerkerzwang, gegen Diebstahl den Wiederersatz und die Strafsumme. So wird der Frevlererinnert,daß er mit seiner Handlungausder Gemeinde und deren Moral —Vorteilenausschied: sie behandelt ihn wie einen Ungleichen, Schwachen, außer ihr Stehenden; deshalb ist Strafe nicht nur Wiedervergeltung, sondern hat einMehr,ein Etwas von derHärte des Naturzustandes;andiesenwill sie ebenerinnern.

23

Ob die Anhänger der Lehre vom freien Willen strafen dürfen?  — Die Menschen, welche von Berufswegen richten und strafen, suchen in jedem Falle festzustellen, ob ein Übeltäter überhaupt für seine Tat verantwortlich ist, ob er seine Vernunft anwendenkonnte,ob er aus Gründen handelte und nicht unbewußt oder im Zwange. Straft man ihn, so straft man, daß er die schlechteren Gründe den besseren vorzog: welche er alsogekannthaben muß. Wo diese Kenntnis fehlt, ist der Mensch nach der herrschenden Ansicht unfrei und nicht verantwortlich: es sei denn, daß seine Unkenntnis, zum Beispiel seine ignorantia legis, die Folge einer absichtlichen Vernachlässigung des Erlernens ist; dann hat er also schon damals, als er nicht lernen wollte was er sollte, die schlechteren Gründe den besseren vorgezogen und muß jetzt die Folge seiner schlechten Wahl büßen. Wenn er dagegen die besseren Gründe nicht gesehen hat, etwa aus Stumpf- und Blödsinn, so pflegt man nicht zu strafen: es hat ihm, wie man sagt, die Wahl gefehlt, er handelte als Tier. Die absichtliche Verleugnung der besseren Vernunft ist jetzt die Voraussetzung, die man beim strafwürdigen Verbrecher macht. Wie kann aber jemand absichtlich unvernünftiger sein, als er sein muß? Woher die Entscheidung, wenn die Wagschalen mit guten und schlechten Motiven belastet sind? Also nicht vom Irrtum, von der Blindheit her, nicht von einem äußeren, auch von keinem inneren Zwange her? (Man erwäge übrigens, daß jeder sogenannte»äußere Zwang «nichts weiter ist, als der innere Zwang der Furcht und des Schmerzes.) Woher? fragt man immer wieder. DieVernunftsoll also nicht die Ursache sein, weil sie sich nicht gegen die besseren Gründe entscheiden könnte? Hier nun ruft man den» freien Willen «zur Hilfe: es soll dasvollendete Beliebenentscheiden, ein Moment eintreten, wo kein Motiv wirkt, wo die Tat alsWundergeschieht, aus dem Nichts heraus. Man straft diese angeblicheBeliebigkeit,in einem Falle, wo kein Belieben herrschen sollte: die Vernunft, welche das Gesetz, das Verbot und Gebot kennt, hätte gar keine Wahl lassen dürfen, meint man, und als Zwang und höhere Macht wirken sollen. Der Verbrecher wird also bestraft, weil er vom» freien Willen «Gebrauch macht: das heißt, weil er ohne Grund gehandelt hat, wo er nach Gründen hätte handeln sollen. Aberwarumtat er dies? Dies eben darf nicht einmal mehrgefragtwerden: es war eine Tat ohne» darum?«ohne Motiv, ohne Herkunft, etwas Zweckloses und Vernunftloses. —Eine solche Tat dürfte man aber,nach der ersten oben vorangeschickten Bedingung aller Strafbarkeit,auch nicht strafen!Auch jene Art der Strafbarkeit darf nicht geltend gemacht werden, als wenn hier etwasnichtgetan, etwas unterlassen, von der VernunftnichtGebrauch gemacht sei: denn unter allen Umständen geschah die Unterlassungohne Absicht!und nur die absichtliche Unterlassung des Gebotenen gilt als strafbar. Der Verbrecher hat zwar die schlechteren Gründe den besseren vorgezogen, aberohneGrund und Absicht: er hat zwar seine Vernunft nicht angewendet, aber nicht,umsie nicht anzuwenden. Jene Voraussetzung, die man beim strafwürdigen Verbrechen macht, daß er seine Vernunft absichtlich verleugnet habe, — gerade sie ist bei der Annahme des» freien Willens «aufgehoben. Ihrdürftnicht strafen, ihr Anhänger der Lehre vom» freien Willen«, nach euern eigenen Grundsätzen nicht! — Diese sind aber im Grunde nichts, als eine sehr wunderliche Begriffs-Mythologie; und das Huhn, welches sie ausgebrütet hat, hat abseits von aller Wirklichkeit auf seinen Eiern gesessen.

24

Zur Beurteilung des Verbrechers und seines Richters.  — Der Verbrecher, der den ganzen Fluß der Umstände kennt, findet seine Tat nicht so außer der Ordnung und Begreiflichkeit, wie seine Richter und Tadler: seine Strafe aber wird ihm gerade nach dem Grad vonErstaunenzugemessen, welches jene beim Anblick der Tat als einer Unbegreiflichkeit befällt. — Wenn die Kenntnis, welche der Verteidiger eines Verbrechers von dem Fall und seiner Vorgeschichte hat, weit genug reicht, somüssendie sogenannten Milderungsgründe, welche er der Reihe nach vorbringt, endlich die ganze Schuld hinwegmildern. Oder, noch deutlicher: der Verteidiger wird schrittweise jenes verurteilende und strafzumessendeErstaunen mildernund zuletzt ganz aufheben, indem er jeden ehrlichen Zuhörer zu dem inneren Geständnis nötigt:»er mußte so handeln, wie er gehandelt hat; wir würden, wenn wir straften, die ewige Notwendigkeit bestrafen.

Ваша оценка очень важна

0
Шрифт
Фон

Помогите Вашим друзьям узнать о библиотеке