Лессинг Готхольд Эфраим - Hamburgische Dramaturgie стр 6.

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Man wird mich aus einem Exempel am besten verstehen. Ich nehme es, wie mir es itzt beifaellt; der Schauspieler wird sich ohne Muehe auf noch weit einleuchtendere besinnen.—Wenn Olint sich mit der Hoffnung schmeichelt, Gott werde das Herz des Aladin bewegen, dass er so grausam mit den Christen nicht verfahre, als er ihnen gedrohet: so kann Evander, als ein alter Mann, nicht wohl anders, als ihm die Betrueglichkeit unsrer Hoffnungen zu Gemuete fuehren.

"Vertraue nicht, mein Sohn, Hoffnungen, die betriegen!"

Sein Sohn ist ein feuriger Juengling, und in der Jugend ist man vorzueglich geneigt, sich von der Zukunft nur das Beste zu versprechen.

"Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Jugend oft."

Doch indem besinnt er sich, dass das Alter zu dem entgegengesetzten Fehler nicht weniger geneigt ist; er will den unverzagten Juengling nicht ganz niederschlagen und faehret fort:

"Das Alter quaelt sich selbst, weil es zu wenig hofft."

Diese Sentenzen mit einer gleichgueltigen Aktion, mit einer nichts als schoenen Bewegung des Armes begleiten, wuerde weit schlimmer sein, als sie ganz ohne Aktion hersagen. Die einzige ihnen angemessene Aktion ist die, welche ihre Allgemeinheit wieder auf das Besondere einschraenkt. Die Zeile,

"Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Jugend oft"

muss in dem Tone, mit dem Gestu der vaeterlichen Warnung, an und gegen den Olint gesprochen werden, weil Olint es ist, dessen unerfahrne leichtglaeubige Jugend bei dem sorgsamen Alten diese Betrachtung veranlasst. Die Zeile hingegen,

"Das Alter quaelt sich selbst, weil es zu wenig hofft"

erfordert den Ton, das Achselzucken, mit dem wir unsere eigene Schwachheiten zu gestehen pflegen, und die Haende muessen sich notwendig gegen die Brust ziehen, um zu bemerken, dass Evander diesen Satz aus eigener Erfahrung habe, dass er selbst der Alte sei, von dem er gelte.

Es ist Zeit, dass ich von dieser Ausschweifung ueber den Vortrag der moralischen Stellen wieder zurueckkomme. Was man Lehrreiches darin findet, hat man lediglich den Beispielen des Herrn Ekhof zu danken; ich habe nichts als von ihnen richtig zu abstrahieren gesucht. Wie leicht, wie angenehm ist es, einem Kuenstler nachzuforschen, dem das Gute nicht bloss gelingt, sondern der es macht!

Die Rolle der Clorinde ward von Madame Henseln gespielt, die ohnstreitig eine von den besten Aktricen ist, welche das deutsche Theater jemals gehabt hat. Ihr besonderer Vorzug ist eine sehr richtige Deklamation; ein falscher Akzent wird ihr schwerlich entwischen; sie weiss den verworrensten, holprigsten, dunke1sten Vers mit einer Leichtigkeit, mit einer Praezision zu sagen, dass er durch ihre Stimme die deutlichste Erklaerung, den vol1staendigsten Kommentar erhaelt. Sie verbindet damit nicht selten ein Raffinement, welches entweder von einer sehr gluecklichen Empfindung, oder von einer sehr richtigen Beurteilung zeuget. Ich glaube die Liebeserklaerung, welche sie dem Olint tut, noch zu hoeren:

Wie frei, wie edel war dieser Ausbruch! Welches Feuer, welche Inbrunst beseelten jeden Ton! Mit welcher Zudringlichkeit, mit welcher Ueberstroemung des Herzens sprach ihr Mitleid! Mit welcher Entschlossenheit ging sie auf das Bekenntnis ihrer Liebe los! Aber wie unerwartet, wie ueberraschend brach sie auf einmal ab und veraenderte auf einmal Stimme und Blick und die ganze Haltung des Koerpers, da es nun darauf ankam, die duerren Worte ihres Bekenntnisses zu sprechen. Die Augen zur Erde geschlagen, nach einem langsamen Seufzer, in dem furchtsamen gezogenen Tone der Verwirrung, kam endlich

"Ich liebe dich, Olint,—"

heraus, und mit einer Wahrheit! Auch der, der nicht weiss, ob die Liebe sich so erklaert, empfand, dass sie sich so erklaeren sollte. Sie entschloss sich als Heldin, ihre Liebe zu gestehen, und gestand sie als ein zaertliches, schamhaftes Weib. So Kriegerin als sie war, so gewoehnt sonst in allem zu maennlichen Sitten: behielt das Weibliche doch hier die Oberhand. Kaum aber waren sie hervor, diese der Sittsamkeit so schwere Worte, und mit eins war auch jener Ton der Freimuetigkeit wieder da. Sie fuhr mit der sorglosesten Lebhaftigkeit, in aller der unbekuemmerten Hitze des Affekts fort:

Denn die Liebe aeussert sich nun als grossmuetige Freundschaft: und die Freundschaft spricht ebenso dreist, als schuechtern die Liebe.

Fuenftes Stueck Den 15. Mai 1767

Es ist unstreitig, dass die Schauspielerin durch diese meisterhafte Absetzung der Worte

"Ich liebe dich, Olint,—"

der Stelle eine Schoenheit gab, von der sich der Dichter, bei dem alles in dem naemlichen Flusse von Worten daherrauscht, nicht das geringste Verdienst beimessen kann. Aber wenn es ihr doch gefallen haette, in diesen Verfeinerungen ihrer Rolle fortzufahren! Vielleicht besorgte sie, den Geist des Dichters ganz zu verfehlen; oder vielleicht scheute sie den Vorwurf, nicht das, was der Dichter sagt, sondern was er haette sagen sollen, gespielt zu haben. Aber welches Lob koennte groesser sein, als so ein Vorwurf? Freilich muss sich nicht jeder Schauspieler einbilden, dieses Lob verdienen zu koennen. Denn sonst moechte es mit den armen Dichtern uebel aussehen.

Cronegk hat wahrlich aus seiner Clorinde ein sehr abgeschmacktes, widerwaertiges, haessliches Ding gemacht. Und demohngeachtet ist sie noch der einzige Charakter, der uns bei ihm interessierst. So sehr er die schoene Natur in ihr verfehlt, so tut doch noch die plumpe, ungeschlachte Natur einige Wirkung. Das macht, weil die uebrigen Charaktere ganz ausser aller Natur sind, und wir doch noch leichter mit einem Dragoner von Weibe, als mit himmelbruetenden Schwaermern sympathisieren. Nur gegen das Ende, wo sie mit in den begeisterten Ton faellt, wird sie uns ebenso gleichgueltig und ekel. Alles ist Widerspruch in ihr, und immer springt sie von einem Aeussersten auf das andere. Kaum hat sie ihre Liebe erklaert, so fuegt sie hinzu:

"Wirst du mein Herz verschmaehn? Du schweigst?—Entschliesse dich; Und wenn du zweifeln kannst—so zittre!—

So zittre? Olint soll zittern? er, den sie oft in dem Tumulte der Schlacht unerschrocken unter den Streichen des Todes gesehen? Und soll vor ihr zittern? Was will sie denn? Will sie ihm die Augen auskratzen? —O wenn es der Schauspielerin eingefallen waere, fuer diese ungezogene weibliche Gasconade "so zittre!" zu sagen: "ich zittre!" Sie konnte zittern, soviel sie wollte, ihre Liebe verschmaeht, ihren Stolz beleidiget zu finden. Das waere sehr natuerlich gewesen. Aber es von dem Olint verlangen, Gegenliebe von ihm, mit dem Messer an der Gurgel, fordern, das ist so unartig als laecherlich.

Doch was haette es geholfen, den Dichter einen Augenblick laenger in den Schranken des Woh1standes und der Maessigung zu erhalten? Er faehrt fort, Clorinden in dem wahren Tone einer besoffenen Marketenderin rasen zu lassen; und da findet keine Linderung, keine Bemaentelung mehr statt.

Das einzige, was die Schauspielerin zu seinem Besten noch tun koennte, waere vielleicht dieses, wenn sie sich von seinem wilden Feuer nicht so ganz hinreissen liesse, wenn sie ein wenig an sich hielte, wenn sie die aeusserste Wut nicht mit der aeussersten Anstrengung der Stimme, nicht mit den gewaltsamsten Gebaerden ausdrueckte.

Wenn Shakespeare nicht ein ebenso grosser Schauspieler in der Ausuebung gewesen ist, als er ein dramatischer Dichter war, so hat er doch wenigstens ebenso gut gewusst, was zu der Kunst des einen, als was zu der Kunst des andern gehoeret. Ja vielleicht hatte er ueber die Kunst des erstern um so viel tiefer nachgedacht, weil er so viel weniger Genie dazu hatte. Wenigstens ist jedes Wort, das er dem Hamlet, wenn er die Komoedianten abrichtet, in den Mund legt, eine goldene Regel fuer alle Schauspieler, denen an einem vernuenftigen Beifalle gelegen ist. "Ich bitte euch", laesst er ihn unter andern zu den Komoedianten sagen, "sprecht die Rede so, wie ich sie euch vorsagte; die Zunge muss nur eben darueber hinlaufen. Aber wenn ihr mir sie so heraushalset, wie es manche von unsern Schauspielern tun: seht, so waere mir es ebenso lieb gewesen, wenn der Stadtschreier meine Verse gesagt haette. Auch durchsaegt mir mit eurer Hand nicht so sehr die Luft, sondern macht alles huebsch artig; denn mitten in dem Strome, mitten in dem Sturme, mitten, so zu reden, in dem Wirbelwinde der Leidenschaften, muesst ihr noch einen Grad von Maessigung beobachten, der ihnen das Glatte und Geschmeidige gibt."

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