Er schloss die Augen.
Bitte Gott, hilf mir.
Als sich der Riese auf ihn stürzte, hörte Thor plötzlich ein gedämpftes Surren in seinem Kopf, das anschwoll und mit einem Mal von außen, vom Universum zu kommen schien. Er fühlte etwas, was er noch nie zuvor gefühlt hatte. Er fühlte sich im Einklang mit der Materie der Luft, dem Wiegen der Bäum, der Bewegung der Grashalme. Er fühlte ein Pulsieren aus der Mitte kommen, und als er eine Hand hob, schien sich dieses Pulsieren aus allen Enden des Universums in ihr zu sammeln und ihm zu Willen zu sein.
Thor öffnete seine Augen und hörte ein enormes Summen über sich, und überrascht beobachtete er, wie sich ein gigantischer Bienenschwarm am Himmel materialisierte. Sie kamen aus allen Richtungen, und als er seine Hände hob, wusste er, dass er sie lenkte. Er wusste nicht wie, aber er wusste, dass sie seinem Befehl folgten.
Thor bewegte seine Hände in Richtung des Riesen, und während er es tat, sah er, wie der Bienenschwarm, den Himmel über ihm verdunkelte. Der Schwarm tauchte herab und umhüllte den Riesen. Er hob die Hände und schlug um sich, und schrie, während sie ihn hunderte, nein tausende Male stachen, bis er auf die Knie sank und vornüber fiel. Er war tot. Die Erde bebte von seinem Sturz.
Thor richtete seine Hand in Richtung von McClouds Armee, die auf ihren Pferden sitzend auf ihn herabstarrten und schockiert die Szene mitangesehen hatten. Sie rissen ihre Pferde herum und begannen zu fliehen – aber sie waren nicht schnell genug. Thor wies in ihre Richtung und der Schwarm ließ vom Riesen ab um die Krieger anzugreifen.
Angstschreie ertönten, und noch während sie ihre Pferde herumrissen wurden sie unzählige Male von den Bienen gestochen. Bald war das Schlachtfeld leer, denn die verbliebenen Krieger verließen es, so schnell sie nur konnten. Einige hatten nicht schnell genug geschafft, das Weite zu suchen, und einer nach dem anderen fiel. Das Schlachtfeld war übersät mit Leichen.
Während die Überlebenden davonritten, jagte sie der Schwarm über die Ebene zum Horizont, und das Summen des Schwarms mischte sich mit dem Schlagen der Hufe der Pferde und den Angstschreien der Männer.
Thor war erstaunt: innerhalb weniger Minuten war das Schlachtfeld leer und Stille breitete sich aus. Alles was blieb, war das Stöhnen der verwundeten McClouds, die in Haufen vor ihm lagen.
Thor sah sich um und sah seine Freunde – erschöpft und schwer atmend. Sie waren grün und blau geschlagen, doch bis auf ein paar leichtere Wunden schienen sie in Ordnung zu sein. Abgesehen von den drei Jungen aus der Legion, die er nicht kannte, und deren Tod er zuvor hatte mit ansehen müssen.
Er hörte ein Grollen am Horizont und als Thor sich umdrehte, sah er, wie die Armee des Königs über den Hügel auf sie zu stürmte. Allen voran Kendrick
Sie ritten auf sie zu und binnen Augenblicken hatten sie Thor und seine Freunde erreicht. Die einzigen Überlebenden auf einem blutigen Schlachtfeld.
Thor stand da, im Schock und starrte sie an, als Kendrick, Kolk, Brom und die anderen von ihren Pferden stiegen und langsam auf ihn zukamen. Sie wurden begleitet von dutzenden von Silver, alles große Krieger der königlichen Armee. Sie sahen, wie Thor und die anderen alleine dastanden, siegreich auf einem blutigen Schlachtfeld, umgeben von hunderten von toten McClouds. Er konnte die Verwunderung in ihren Blicken sehen, den Respekt und die Ehrfurcht. Er konnte es in ihren Augen sehen. Es war das, was er sich sein ganzes Leben lang gewünscht hatte.
Er war ein Held.
KAPITEL NEUN
Erec galoppierte auf seinem Pferd schneller denn je die Südliche Straße herunter, und versuchte dabei so gut wie im Dunkel der Nacht möglich den Schlaglöchern auszuweichen. Er war ununterbrochen geritten, seitdem er die Nachricht von Alistair’s Entführung und ihrem Verkauf in die Sklaverei nach Baluster gehört hatte. Er konnte nicht aufhören, sich selbst dafür zu schelten. Er war so dumm und naiv gewesen, dem Gastwirt zu vertrauen, anzunehmen, dass er zu seinem Wort stehen würde und sich an seinen Teil der Abmachung halten würde und nach dem Turnier Alistair freilassen würde. Erec’s Wort war seine Ehre, und er war davon ausgegangen, dass auch anderen ihr Wort heilig war. Ein dummer Fehler. Und Alistair hatte den Preis dafür zahlen müssen.
Erec’s Herz brach beim Gedanken an sie, und er gab seinem Pferd die Sporen. So eine schöne und feine Lady. Zuerst musste sie die Demütigung über sich ergehen lassen, für den Gastwirt zu arbeiten – und nun war sie in die Sklaverei verkauft worden, in den Handel mit sexuellen Diensten. Der Gedanke machte ihn wütend und er konnte nicht umhin sich schuldig zu fühlen: wäre er niemals in ihr Leben getreten, hätte er ihr niemals angeboten sie mitzunehmen, vielleicht hätte der Gastwirt es niemals in Betracht gezogen.
Erec stürmte durch die Nacht zum stets präsenten Klang der Hufe und dem Atems seines Pferdes. Das Pferd war erschöpft und Erec befürchtete, dass er es zu Tode reiten könnte. Er war gleich nach dem Tournier zum Gastwirt gegangen, hatte keine Pause gemacht und war so müde und erschöpft, dass er fürchtete, einfach den Halt zu verlieren und vom Pferd zu fallen. Doch er zwang sich, seine Augen offenzuhalten während er unter den letzten Spuren des Vollmonds in Richtung Süden nach Baluster ritt.
Auch wenn er noch nie dort gewesen war, hatte er doch sein ganzes Leben lang Geschichten von Baluster gehört: es war berüchtigt für Glücksspiel, Opium, Sex und jedes erdenkliche Laster im Königreich. Dorthin kamen die Unzufriedenen aus allen vier Ecken des Rings um aus jeder noch so dunklen Lustbarkeit Kapital zu schlagen. Dieser Ort stellte das genaue Gegenteil von allem dar, was ihn ausmachte. Er hatte noch nie gespielt und trank selten. Er bevorzugte es, sich in seiner freien Zeit in den Waffenkünsten zu üben und seine Fähigkeiten zu schärfen.
Er konnte nicht verstehen, welche Art von Menschen sich der Trägheit und wüsten Gelagen hingeben konnten, wie es die Stammgäste in Baluster taten.
Hierher zu kommen, verhieß nichts Gutes. Der schiere Gedanke an einen solchen Ort ließ sein Herz sinken. Er wusste, dass er sie bald retten und schnell weit von hier weg bringen musste, bevor ihr Leid zugefügt werden konnte.
Als der Mond am Himmel sank wurde die Straße breiter und besser, und Erec konnte einen ersten Blick auf die Stadt erhaschen: eine Unzahl von Fackeln beleuchteten ihre Mauern und ließen sie wie ein Signalfeuer die Nacht erleuchten. Erec war nicht überrascht – Gerüchten zufolge sollten die Bewohner die ganze Nacht lang wach sein.
Erec ritt schneller und die Stadt kam näher. Endlich ritt er über eine kleine hölzerne Brücke mit Fackeln auf beiden Seiten und einer schläfrigen Wache, die an ihrem Fuße vor sich hin döste. Der Wachmann sprang auf, als Erec vorbei stürmte und rief ihm hinterher: „HEY!“
Doch Erec hielt nicht an. Wenn der Mann soviel Mut aufbringen konnte, Erec hinterherzujagen – was dieser sehr bezweifelte – würde Erec dafür sorgen, dass es das letzte war, was er tat.
Erec ritt durch den großen, offenen Zugang zur Stadt, die quadratisch ausgelegt und von niedrigen alten Steinmauern umgeben war. Als er hinein ritt, folgte er engen Gassen die von Fackeln gesäumt hell erleuchtet waren. Die Gebäude standen nahe beieinander, ließen die Stadt eng erscheinen und hinterließen ein klaustrophobisches Gefühl. Die Straßen waren voller Menschen, und fast alle erschienen betrunken, stolperten hin und her, schrien sich an, oder drängelten aneinander vorbei. Es war wie ein rauschendes Fest. Und jedes zweite Haus war eine Taverne oder eine Spielhölle. Erec wusste, er war am richtigen Ort. Er konnte Alistair’s Anwesenheit spüren. Sie war hier irgendwo. Er schluckte schwer und hoffte, dass er nicht zu spät kam.