Морган Райс - Die Zauberfabrik стр 6.

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„Ich weiß nicht, wie ich den Tag im Callcenter überstehen soll“, jammerte Olivers Mutter, die mit zwei Tassen Kaffee zum Tisch kam. Vorsichtig stellte sie sie auf dem wackligen Tisch ab.

„Hast du einen neuen Job, Mom?“, fragte Oliver.

Für seine Eltern war es fast unmöglich, Vollzeit zu arbeiten, da sie ständig umziehen mussten. Und wenn sie gar keinen Job hatten, war es noch schwieriger für sie, den Alltag zu meistern. Wenn Mom eine Arbeit hatte, bedeutete das, dass sie etwas mehr Essen bekamen, bessere Kleidung und sogar ein bisschen Taschengeld. Dann konnte Oliver neue Teile für seine Erfindungen kaufen.

„Ja“, sagte sie lächelnd. „Wir haben beide neue Jobs gefunden. Aber wir haben lange Tage vor uns. Heute werden wir eingearbeitet, aber ab morgen müssen wir in der Spätschicht arbeiten. Das heißt, dass wir an den Nachmittagen nicht zu Hause sein können. Aber keine Sorge, Chris wird sich um dich kümmern.“

Olivers Magen war wie zugeschnürt. Lieber wäre er alleine zu Hause als mit Chris.

Wie auf sein Stichwort polterte Chris in die Küche. Er war an diesem Morgen der einzige Blue, der frisch und ausgeschlafen aussah. Er streckte sich und gähnte theatralisch. Dabei rutschte sein T-Shirt so hoch, dass sein blassrosa Bauchnabel zu sehen war.

„Guten Morgen, wunderbare Familie“, sagte er mit einem breiten Grinsen. Dann legte er seinen Arm um Olivers Kopf und zog ihn fest an sich. Was wie brüderliche Zuwendung aussah, war Olivers erste schmerzhafte Erfahrung des Tages. „Wie geht es dir, du Wurm? Freust du dich schon auf die Schule?“

Oliver bekam kaum noch Luft, so fest hatte Chris ihn im Schwitzkasten. Wie immer ignorierten seine Eltern die Schikane.

„Kann’s kaum… erwarten“, keuchte Oliver.

Dann ließ sein Bruder los und setzte sich.

Mom brachte einen Stapel Toast mit Butter und Stellte ihn mitten auf den Tisch. Dad nahm sich eine Scheibe und Chris die anderen. Damit war für Oliver nichts mehr übrig.

„Hey!“, rief Oliver. „Habt ihr das gesehen?“

Mom warf einen Blick auf den leeren Teller und seufzte. Dann sah sie Dad an. Offensichtlich erwartete sie, dass er das Problem löste, aber der zuckte nur mit den Schultern.

Oliver ballte die Fäuste. Es war so ungerecht! Wenn er das nicht schon geahnt hätte, wäre er dank seines Bruders wieder leer ausgegangen. Aber noch wütender machte ihn, dass seine Eltern sich nie für ihn einsetzten. Nein, sie schienen nicht einmal zu bemerken, wie oft er hungern musste.

„Lauft ihr zusammen zur Schule?“, fragte Mom, die damit das Thema beendete.

„Geht nicht“, sagte Chris mit vollem Mund. „Wenn ich mit diesem Troll gesehen werde, will niemand mehr mit mir befreundet sein.“

Dad hob den Kopf. Einen Augenblick dachte Oliver, dass er Chris für die ständigen Beleidigungen zurechtweisen würde, aber dann entschied er sich dagegen, seufzte und blickte wieder auf seinen Teller.

Oliver knirschte mit den Zähnen, um seine Wut unter Kontrolle zu halten.

„Mir egal“, sagte er. „Ist mir eh lieber, wenn du hundert Meter Sicherheitsabstand hältst.“

Chris lachte dreckig.

„Ach Jungs, seid doch nicht so…“, sagte Mom schwach.

Als die Eltern nicht hinschauten, hob Chris wieder einmal drohend die Faust.

Nach dem Frühstück machten sich alle fertig und verließen das Haus.

Oliver beobachtete, wie seine Eltern in den kleinen, ramponierten Wagen stiegen und davon fuhren. Chris stampfte ohne ein weiteres Wort los, die Hände in den Taschen vergraben, das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Oliver wusste, wie wichtig es für seinen Bruder war, von Anfang an alle einzuschüchtern. Diese Ausstrahlung war sein Schutzschild, seine Art, mit dem ständigen Schulwechsel zurechtzukommen und sich mitten im Schuljahr in eine neue Gruppe einzufügen. Oliver war leider zu klein und zu schmächtig um irgendjemanden einzuschüchtern.

Chris ging so schnell, dass Oliver ihn bald nicht mehr sehen konnte und alleine den Weg durch die unbekannten Straßen finden musste. Er fühlte sich nicht besonders wohl dabei. Die Gegend wirkte nicht gerade freundlich. Ständig sprangen Zähne fletschende Hunde gegen halb zusammengefallene Gartenzäune und laute, klapprige Autos rasten über die Schlaglöcher der Straßen, ohne sich um Fußgänger zu scheren.

Als die Campbell Junior High School in Sicht kam, lief es Oliver kalt den Rücken hinunter. Das graue, viereckige Gebäude mit der heruntergekommenen Fassade sah kalt und unfreundlich aus. Jegliche Rasenflächen waren unter bröckeligem Asphalt begraben, ein kaputter Basketballkorb baumelte leblos an einer Wand. Die Kinder rempelten sich gegenseitig an und zankten sich um einen alten Ball. Dabei machten sie einen ohrenbetäubenden Lärm, der Oliver bereits aus der Ferne eine Gänsehaut einjagte.

Oliver wollte am liebsten umdrehen und weglaufen, aber er schluckte seine Furcht herunter und ging mit hängendem Kopf und in den Taschen vergrabenen Händen über den Pausenhof zur großen Glastür.

In den Gängen der Campbell Junior High war es dunkel. Es roch nach Chlor, obwohl der Boden aussah, als wäre er seit Jahrzehnten nicht mehr geputzt worden. Oliver folgte dem Schild zum Sekretariat. Dort saß eine gelangweilt und gleichzeitig genervt aussehende Frau mittleren Alters, die mit ihren langen Fingernägeln auf einer Computertastatur herumtippte.

„Entschuldigen Sie“, begann Oliver.

Keine Antwort.

Er räusperte sich und versuchte es noch einmal, diesmal etwas lauter.

„Entschuldigen Sie bitte, ich bin ein neuer Schüler. Heute ist mein erster Tag.“

Langsam drehte sie den Kopf vom Computer weg, hin zu Oliver. Sie kniff die Augen zusammen. „Ein neuer Schüler?“, fragte sie ungläubig. „Es ist Oktober, junger Mann.“

„Ich weiß“, sagte Oliver. Das brauchte sie ihm nicht sagen. „Meine Familie ist gerade hierher gezogen. Ich bin Oliver Blue.“

Sie sah ihn einen Augenblick stumm an. Dann wandte sie sich wieder dem Computer zu und tippte etwas ein. Ihre Fingernägel klickten laut auf den Tasten.

„Blue“, sagte sie. „Blue. Blue. Blue. Ach, hier. Christopher John Blue. Achte Klasse.“

„Nein, das ist mein Bruder“, entgegnete Oliver. „Ich heiße Oliver Blue.“

„Ich habe hier keinen Oliver“, sagte sie ausdruckslos.

„Doch… ich bin hier.“ Oliver lächelte unsicher. „Ich muss doch irgendwo auf der Liste stehen.“

Die Sekretärin sah ihn wieder genervt an. Das machte ihn nur noch nervöser. Sie tippte wieder, dann seufzte sie.

„Okay, hier. Oliver Blue, sechste Klasse.“ Sie drehte sich auf ihrem Bürostuhl zu einem Regal um und knallte einen dicken Stapel Papiere auf den Tisch. „Hier, Willkommenspaket, Stundenplan, wichtige Kontakte, et cetera. Alles hier drin.“ Sie tippte mit einem leuchtend roten Fingernagel auf den Stapel. „Erste Stunde: Englisch.“

„Das ist gut. Englisch spreche ich fließend.“ Oliver grinste matt über seinen eigenen Witz und nahm den dicken Ordner an sich. Für eine Sekunde verzog die Sekretärin einen Mundwinkel zu so etwas wie einem Lächeln. Dann wurde Oliver klar, dass es nichts mehr zu klären gab, und sie nur darauf wartete, dass er wieder verschwand. Er klammerte den Ordner fest an sich und ging langsam aus dem Büro.

Auf dem Gang legte er alles auf eine kleine Bank und suchte seinen Stundenplan und einen Plan vom Schulgelände heraus. Er musste in den dritten Stock, also ging er zu den Treppen. Dort drängten sich jede Menge Kinder aneinander vorbei. Oliver wurde mit der Menge mitgerissen. Die dichte Masse von Körpern ließ ihm keine Wahl als sich mit dem Strom aufwärts treiben zu lassen. Nur mit Mühe konnte er sich im dritten Stockwerk aus der Flut von Kindern herauslösen.

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