Sie kam hinter dem Tresen hervor – Chester hob seinen Kopf, um wie üblich zu winseln – und ging auf den älteren Herrn zu. Er war ein Fremder, keiner ihrer Stammkunden, und blickte gebannt auf das Fach mit den Kristallballerinas.
Lacey schob ihre dunklen Locken aus dem Gesicht und kam dem alten Mann entgegen.
„Suchen Sie etwas Bestimmtes?“, fragte sie, als sie sich neben ihn stellte.
Der Mann erschrak. „Um Himmels Willen, Sie haben mich erschreckt!“
„Das tut mir leid“, sagte Lacey, als sie sein Hörgerät entdeckte und sich ermahnte, ältere Menschen zukünftig nicht mehr von hinten zu überraschen. „Ich wollte mich nur erkundigen, ob Sie nach etwas Speziellem suchen oder sich nur umsehen wollen.“
Der Mann blickte wieder auf die Figuren und ein kleines Lächeln machte sich auf seinen Lippen breit. „Das ist eine lustige Geschichte“, sagte er. „Es ist der Geburtstag meiner verstorbenen Gattin. Ich bin für Tee und Kuchen in die Stadt gekommen, um ihre Erinnerung zu ehren, wissen Sie. Aber als ich an Ihrem Geschäft vorbeigekommen bin, musste ich unbedingt hineinkommen.“ Er zeigte auf die Figuren. „Sofort habe ich die hier entdeckt.“ Er schenkte Lacey ein wissendes Lächeln. „Meine Frau war eine Tänzerin.“
Lacey lächelte zurück, gerührt von der bewegenden Geschichte. „Wie wundervoll!“
„Das war in den Siebzigerjahren“, führte der ältere Herr fort und nahm eine der Figuren mit zittriger Hand aus dem Regal. „Sie war ein Teil der Royal Ballet Society. Sie war sogar die erste Ballerina mit –“
In diesem Moment unterbrach das Geräusch eines großen Vans, der direkt vor dem Laden zu schnell über eine Bodenschwelle fuhr, den Satz des Mannes. Der nachfolgende Knall, den der Wagen machte, als er wieder auf der anderen Seite herunterratterte, ließ den Herrn fast in die Höhe springen, und die Figur in seiner Hand flog in die Luft. Sie fiel direkt auf die hölzernen Bodendielen. Der Arm der Ballerina brach ab und wurde unter das Regal geschleudert.
„Ach du meine Güte!“, schrie der Mann auf. „Das tut mir so leid!“
„Keine Sorge“, versicherte ihm Lacey, während ihr Blick auf dem weißen Van ruhte, den sie durch das Fester beobachten konnte. Das Fahrzeug war an den Rand gefahren und abgestellt worden, der Motor brummte laut auf und der Auspuff qualmte. „Es war nicht Ihre Schuld. Ich denke nicht, dass der Fahrer die Bodenschwelle gesehen hat. Wahrscheinlich hat er seinen Van beschädigt!“
Sie kniete sich nieder und versuchte mit ihrem Arm unter das Regal zu gelangen, bis ihre Fingerspitzen die kleine, scharfe Kante des Kristalls erfühlen konnten. Sie zog ihren Arm hervor – der nun von einer dünnen Staubschicht bedeckt war – und richtete sich wieder auf. Genau in diesem Moment sah sie, wie der Fahrer des Vans aus der Kabine auf das Kopfsteinpflaster hinabsprang.
„Das kann doch nur ein Witz sein…“, murmelte Lacey, als sich ihr Blick auf den Übeltäter richtete, den sie nun erkennen konnte. „Taryn.“
Taryn gehörte die Boutique nebenan. Sie war eine versnobte, kleinkarierte Frau, der Lacey den Titel der Unbeliebtesten Person in Wilfordshire verliehen hatte. Sie versuchte Lacey immer in die Quere zu kommen und sie aus der Stadt zu jagen. Taryn hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um Laceys Versuche zu sabotieren, ein eigenes Geschäft in Wilfordshire aufzubauen. Sie war sogar so weit gegangen, Löcher in die Wand ihres eigenen Ladens zu bohren, nur um sie zu irritieren! Und obwohl die Frau sie um einen Waffenstillstand gebeten hatte, nachdem es ihr Handlanger etwas zu weit treiben wollte – er war dabei erwischt worden, wie er nachts vor ihrem Haus gelungert hatte – vertraute ihr Lacey immer noch nicht. Taryn spielte nicht mit fairen Mitteln. Sicherlich war das nur ein weiterer Trick von ihr. Es war gar nicht erst möglich, dass sie die Bodenschwelle nicht kannte – sie war sogar aus ihrem eigenen Ladenfenster sichtbar, zum Teufel nochmal! Als wäre sie absichtlich zu schnell darübergefahren. Und um das Ganze noch schlimmer zu machen, parkte sie jetzt direkt vor Laceys Laden statt vor ihrem eigenen und versuchte entweder die Sicht auf ihr Schaufenster zu blockieren oder die ganzen Abgase in ihre Richtung zu pumpen.
„Das tut mir so leid“, wiederholte der Mann und konnte Laceys Aufmerksamkeit wiedererlangen. Er hielt immer noch die Figur hoch, die nun nur noch einen Arm besaß. „Bitte. Lassen Sie mich für den Schaden aufkommen.“
„Auf keinen Fall“, antwortete Lacey nachdrücklich. „Sie haben nichts falsch gemacht.“ Ihr strenger Blick richtete sich wieder über seine Schulter auf das Fenster. Sie fixierte Taryn und beobachtete, wie die Frau behutsam zum Heck des Fahrzeugs tänzelte, als hätte sie keine Sorge in der Welt. Laceys Ärger über die Besitzerin der Boutique wuchs weiter. „Wenn jemand Schuld daran hat, dann ist es die Fahrerin.“ Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. „Es kommt mir fast so vor, als hätte sie das mit Absicht getan. Autsch!“
Lacey fühlte etwas Scharfes in ihrer Handfläche. Sie umklammerte den abgebrochenen Arm der Ballerina so fest, dass er sich in ihre Haut bohrte.
„Huch!“, erschrak der Mann, als er den großen Blutstropfen sah, der sich in ihrer Handfläche bildete. Er zog den Arm, der die Verletzung verursacht hatte, vorsichtig aus ihrer Hand, als würde seine Entfernung die Wunde wieder verschließen können. „Sind Sie okay?“
„Bitte entschuldigen Sie mich für einen Moment“, sagte Lacey.
Sie ging auf die Tür zu, ließ den erstaunten Mann im Laden zurück, der in einer Hand die beschädigte Ballerina hielt, in der anderen den abgebrochenen Arm, und marschierte auf die Straße. Sie schritt direkt auf ihren Nachbarschaftsfeind zu.
„Lacey!“, rief ihr Taryn strahlend entgegen, während sie die Hintertür des Vans wieder verschloss. „Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich hier parke? Ich muss den Lagerbestand für die neue Saison ausladen. Ist Sommer nicht auch deine Lieblingsjahreszeit für Mode?“
„Dass du hier parkst, stört mich überhaupt nicht“, sagte Lacey. „Aber mich stört, wenn du zu schnell über die Bodenschwelle ratterst. Du weißt doch, dass die Schwelle direkt vor meinem Laden ist. Der Lärm hat meinem Kunden fast einen Herzinfarkt verpasst.“
Dann fiel ihr auf, dass Taryn ihren bulligen Van so geparkt hatte, dass er ihren Blick auf Toms Patisserie auf der anderen Straßenseite blockierte. Das war definitiv mit Absicht!
„Verstanden“, sagte Taryn mit gekünstelter Heiterkeit. „Ich werde nächstes Mal langsamer fahren, wenn die Herbstmode ankommt. Hey, du solltest einmal vorbeikommen, wenn alles eingeräumt ist. Deine Garderobe auffrischen. Dir etwas gönnen. Du verdienst es.“ Ihre Augen wanderten über Laceys Outfit. „Und es wird langsam Zeit.“
„Ich werde darüber nachdenken“, sagte Lacey trocken und erwiderte Taryns falsches Lächeln.
Sobald sie der Frau den Rücken zugedreht hatte, verwandelte sich das Lächeln in eine Grimasse. Taryn war wirklich die Königin der zweideutigen Komplimente.
Als sie wieder in den Laden kam, wartete ihr älterer Kunde bereits an der Kassa und eine zweite Person – ein Mann in einem dunklen Anzug – hatte das Geschäft betreten. Er sah sich gerade das Regal mit den nautischen Stücken an, die sie morgen bei der Auktion versteigern wollte. Ihr Hund Chester beobachtete ihn dabei mit wachsamen Augen. Sie konnte sein Aftershave bereits aus der Entfernung riechen.
„Ich bin gleich bei Ihnen“, rief Lacey dem neuen Kunden zu, während sie in den hinteren Teil des Ladens eilte, wo der ältere Gentleman wartete.
„Ist Ihre Hand in Ordnung?“, fragte der Herr.
„Alles okay.“ Sie blickte auf den kleinen Kratzer in ihrer Handfläche, der bereits aufgehört hatte zu bluten. „Tut mir leid, dass ich es so eilig hatte. Ich musste –“ sie wählte ihre Worte vorsichtig, „– etwas erledigen.“