Gesang und Boot vereinten sich zu einem lichten Bündnis unten in der schwarzen, von nackten, im Hintergrund immer höher ansteigenden Klippen überschatteten und eingeklemmten Bucht. Die Bucht selbst glich einem Bergsee, der sich dereinst beim Schneegang gebildet hat und vergessen worden ist. Die Berge – wie schwer und stumpf in Linien und Farben – holperig und bleiern; die letzten da hinten schwarzblau, mit Kappen schmutzigen Schnees, – Ungeheuer einer wie der andere.
In dem schwarzen Wasser lag das Boot, bereit zum Tanz; das war in fröhlicherem Verband daheim, als die Gesellschaft jener hohen Beisitzer des Natur- und Menschenlebens es ist, Gesang und Boot waren ein Protest gegen alles überragend Herrschsüchtige, alles unverschämt Stumpfe und Rohe – ein freischwebender Protest voll stolzer Farbenfreude!
Im übrigen merkten die Berge so wenig etwas von diesem Protest, wie das junge Volk begriff, daß er von ihm ausging. Das "Hochgeborene", das darin liegt, in einer Natur wie dem westlichen Norwegen zur Welt gekommen und aufgewachsen zu sein, besteht eben darin, daß die Natur den Menschen zwingt, ihr Trotz zu bieten, wenn er nicht unterjocht sein will; unter oder oben – entweder – oder! Und sie waren oben; denn das Volk des Westlandes ist das lebhafteste, am reichsten begabte Skandinaviens. In so hohem Grad sind sie die Herren der Natur, in der sie leben, daß auch nicht einer unter all diesen jungen Menschen jene Berge als schwer oder farbenkalt empfand; die ganze Natur hier erschien ihnen so stark und frisch wie nirgends sonst in der Welt.
Denn nicht nur die lichten Halden und das weite Meer hatten die Menschen, die hier saßen und sangen, geboren und aufgezogen; nein, ebensogut waren sie Kinder der Berge, der Vorberge und der tiefer landeinwärts gelegenen Höhen. Kurz vor dem Gesang noch war ein Wortgefecht gewesen zwischen ihnen, so unerbittlich hart, so bleigrau wie der grauste Berg. Und just um dies unheimlich Felsenharte in ihrem eigenen Innern zu überwinden, hatten sie den harmonischen Gesang lange, strahlende Bogen zwischen die Gipfel über den Abgründen spannen lassen. Der Sommertag war an sich ziemlich grau; aber bisweilen, wie eben jetzt, brach die Sonne mitten in Sang und Segel und Landschaft hinein.
Zwei waren da, an die war Sonne und Sang weggeworfen. Seht dort, den – wie er da unten rechts, ein bißchen abseits, auf seinen Ellbogen gestützt, im Gras liegt! Ein langer Bursch im hellen Sommeranzug, ohne Hut. Ein runder, kurzgeschorener Kopf, eine breite, niedere Stirn, die aussieht, als sei sie hieb- und kugelfest; die Stirn muß gute Stöße ausgeteilt haben in seinen Knabenjahren! Unter der Stirn eine Nase wie ein Schnabel und ein paar scharfe Augen, die gerade jetzt beinah ein bißchen schielen; aber entweder verdeckten es die Brillengläser, oder es war an sich unbedeutend. Das ganze Gesicht hatte etwas Strenges, der Mund war straff, das Kinn scharf. Doch wenn man es näher betrachtete, so wechselte der Eindruck; das Scharfgeschnittene wurde eher Energie als Strenge, und der Wille, der seinen Sitz in dieser Gebirgsgegend aufgeschlagen hatte, konnte sicherlich auch gar freundlich und schalkhaft sein. Selbst jetzt, wie er so dasaß, voll Ingrimm, und sich den Teufel um Gesang und Sonnenschein scherte, – — viel lieber hätte er sich eine Keilerei gewünscht! – selbst jetzt flog ein Schimmer von Humor über die finsteren Brauen. Er war offenbar der Sieger.
Wer etwa zweifelte, der brauchte bloß einen Blick auf die andere Seite der Gruppe zu werfen, auf den, der dort links, ein bißchen weiter oben, an einen Baum gelehnt saß. Das Bild eines verwundeten Kriegers! Und noch in den Zügen die zitternde Unruhe der Schlacht. Ein langes, blondes Gesicht, das nicht an der Westküste daheim war, sondern im Gebirg oder im Oberland. Entweder war er fremd hier oder von einer eingewanderten Familie. Er ähnelte auffallend den herkömmlichen Abbildungen von Melanchthon; nur daß vielleicht der Blick schmachtender, die Augenbrauen ein bißchen zu hoch geschürzt waren. Die Ähnlichkeit im ganzen – besonders in Stirn, Augenstellung und Mund – war so groß, daß er unter seinen Studienkameraden auch tatsächlich den Namen Melanchthon führte. Das war Ole Tuft, jetzt noch Student der Theologie, bald ausstudiert; und der andere, der Sieger mit dem Adlerschnabel, der eben noch recht kräftig zugehauen haben mochte, war sein Jugendkamerad, der Mediziner Edvard Kallem.
Vor mehreren Jahren schon waren ihre Wege auseinandergegangen, ohne daß es darum zu einem Zusammenstoß gekommen wäre; heute aber war etwas geschehen, das zu einer Entscheidung führen sollte.
Mitten zwischen ihnen, also in der Mitte des Hügels, im Kreis der Singenden, saß eine hochgewachsene Mädchengestalt in dotterfarbenem seidenen Kleid, um den Hals eine breite, gelbe Spitze, die in tiefen Falten bis an den Gürtel hinabreichte. Sie sang nicht mit, sondern reihte einen ganzen Berg Feldblumen und Gräser zum Kranze. Man konnte sofort erkennen, daß sie die Schwester des Siegers sein mußte, nur dunkler von Haut und Haarfarbe. Dieselbe Kopfform – wenn auch ihre Stirn verhältnismäßig höher war, überhaupt das ganze Gesicht verhältnismäßig größer – zweifellos zu groß. Die scharfe Familiennase war sanfter gebogen in ihrem regelmäßigen Gesicht; seine schmalen Lippen waren hier voll, sein Kinn gerundet, seine unebenen Brauen ebenmäßig, die Augen größer —. Und doch war es dasselbe Gesicht. Der Ausdruck bei beiden verschieden; bei ihr – wenn nicht kalt, so doch verschlossen und ruhig; niemand hätte so leicht diese tiefen Augen ergründet. Und doch war auch der Ausdruck bei beiden merkwürdig verwandt. Der Kopf saß auf einem starken, von kräftig ausgebildeten Schultern getragenen Hals; auch die Büste war recht üppig. Das dunkle Haar war zu einem eigenartigen Knoten verschlungen. Den Hals trug sie frei; aber das gelbe Kleid mit der gelben Spitze schmiegte sich eng an den sammetbraunen Körper, wie überhaupt der ganze Anzug den Eindruck von etwas fest Zugeknöpftem machte; und ebenso ihr Wesen. Sie flocht, wie gesagt, einen Kranz und wandte den Blick weder nach dem einen noch nach dem andern der zwei, die da miteinander gefochten hatten.
Hervorgerufen war der Kampf durch einen großen, schwarzen Hund; der lag jetzt da und tat, als ob er schliefe. Sein nasser, schwerer Pelz glänzte in der Sonne. Ein paar junge Leute hatten Stöcke ins Meer geworfen und den Hund hinterher gehetzt; und dabei hatten sie jedesmal gerufen: "Samson! Samson!" – das war der Name des Hundes. Da sagte Edvard Kallem zu einigen Umstehenden: "Samson – das bedeutet Sonnengott". – "Was?" fragte ein junges Mädchen, "Samson bedeutet Sonnengott?" – "Gewiß. Wenn auch die Theologen sich schwer hüten, das zu sagen." Er sagte es ganz jugendlich leichthin, gar nicht um jemand zu ärgern oder um daran weiterzuspinnen. Aber Ole Tuft hörte es zufällig und fragte etwas überlegen: "Weshalb sollten denn die Geistlichen den Kindern nicht sagen, daß Samson Sonnengott bedeutet?" – "Weil dann die ganze Samsonerzählung nicht mehr als Vorbild für den Christusmythus zu brauchen wäre." Das Wort saß; und das sollte es auch. Lächelnd, überlegen sagte Ole: "Samson läßt sich wohl trotzdem als Vorbild gebrauchen – ob er nun Sonnengott heißt oder nicht!" – "Ja – ob er Sonnengott heißt oder nicht; wenn er aber der Sonnengott war?" – "So? Also er war der Sonnengott?" rief Ole lachend. – "Das sagt doch der Name." – "Der Name? Sind wir etwa Bären oder Wölfe, weil wir nach Bären und Wölfen heißen? Oder Götter, weil wir nach Göttern heißen." Verschiedene aus der Gesellschaft hörten das mit an; jetzt kamen auch andere hinzu, unter ihnen Josefine. Und beide wandten sich sofort an sie.