Шаламов Варлам Тихонович - Über die Kolyma / О Колыме. Книга для чтения на немецком языке стр 10.

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Die Schlafstellen neben mir waren leer. Unsere Brigade wurde mal in eine andere Baracke verlegt und mit einer anderen vereinigt, mal aufgelöst, und ich zog von Baracke zu Baracke. Als Arbeiter war ich mies, mein Erscheinen in der Baracke war für den Brigadier keine Freude. Aber mir und vielleicht auch ihnen war es ganz egal. Mir ist nicht mal im Gedächtnis geblieben, wann sie anfingen mich zu schlagen, wann ich zum dochodjaga wurde, den jeder stoßen und schlagen will: der Bauer, um die Aufmerksamkeit der Chefs auf seine politische Ergebenheit gegenüber der Sowjetmacht zu lenken, der Ganove …

Hier kommt es zu einem Zustand, dass du selbst schwach wirst und außerstande bist, Rückgeld zu geben. Und sofort beginnt man dich auch zu stoßen und zu schlagen. Ich bin diesen Weg etwa 1938 gegangen. Aber auch im Dezember 1937 schon wurde ich gestoßen und geschlagen …

Ich kroch über irgendeinen Schneeweg und sammelte Reste von Kohlblättern, um sie in der Konservendose aufzubrühen, abzukochen. Ich kroch eine ganze Ewigkeit, aber sammelte nichts zusammen – es war schon jemand vor mir gekrochen, und aus dem, was ich sammelte, ließ sich keine Suppe kochen. Ich schluckte die Stücke gefroren herunter.

In diesem Moment verlegte man unsere Brigade, die im zweiten Abschnitt arbeitete, in den ersten, und in diesem ersten Abschnitt in Sujews Brigade. Hier fragte Sujew, ein Bauernbursche so um die 30, nach Schreibkundigen, die ihm eine Beschwerde schreiben konnten, und so, dass alle Staatsanwaltsherzen weich werden. Sujew suchte nach einem solchen Autor in der Brigade. Sujew hatte gerade eine Haftstrafe für Bestechlichkeit bekommen – doch er versicherte seine Unschuld. Wichtig war, die Beschwerde gut abzufassen. Als er sah, dass ich neu bin in der Brigade, nahm mich Sujew beiseite und sagte: »Du wirst im Warmen sitzen und mir die Beschwerde schreiben.«

»Gut«, sagte ich. »Gib mir Papier, gleich morgen fangen wir an.«

Nicht mal ein Stück Brot gab mir Sujew für die Beschwerde, doch, so schwer es dem Hirn auch fiel sich zu rühren, ich fasste diese Beschwerde ab.

Am folgenden Tag las sie Sujew den Arbeitsanweisern vor, sie fanden, dass die Beschwerde schlecht geschrieben ist und den Staatsanwälten nicht ins Herz stechen wird. Sujew tat es leid um seine Brotration, noch dazu hatte jemand gesagt, dass er sich um die literarische Hilfe an einen Volksfeind, einen Trotzkisten gewandt hatte.

Am folgenden Tag gab es statt der fortgesetzten Arbeit an der Beschwerde ein Verprügeln des Advokaten. Sujew warf mich mit einem Schlag um und trampelte, trampelte auf mir herum im Schnee. An diese Backpfeife erinnere ich mich gut. Ich bin schon allzu leicht gefallen – war alles, was ich dachte. Und obwohl mir die Zähne blutig geschlagen waren, tat es aus irgendeinem Grund nicht weh.

Die Kampagne zur physischen Vernichtung der Volksfeinde hatte begonnen an der Kolyma, und Sujew teilte dem Bevollmächtigten eilig mit, dass er, der Arbeitsanweiser, ein solch schreckliches Verbrechen vor dem Staat begangen und einen Trotzkisten gebeten hat, ihm eine Beschwerde zu schreiben. Ebendarum ging es im Dezember 1938, als man mich im Bergwerk verhaftete und nach Jagodnoje brachte, zum Chef des örtlichen NKWD, Genosse Smertin*.

»Jurist?«

»Jurist, Bürger Natschalnik.«

»Du hast Beschwerden geschrieben?«

»Ja.«

»Gegen Brot?«

»Gegen Brot und auch so.«

»Ins Gefängnis mit ihm.«

Aber all das war ein Jahr später, und erst heute denke ich, dass sich Sujew beeilt hat, seinen Fehler zu gestehen, als er im Dezember 1937 die Denunziation gegen mich, das Geständnis schrieb.

Ich erinnere mich, all diese Zeit bemühte ich mich, noch irgendwo sonst zu arbeiten: Putzen und Holzsägen gegen eine dünne Brühe oder Brotrinde. Auf so eine Arbeit nach 14 Stunden Grube war mein ganzer Körper, meine ganze Person ausgerichtet, unter Mobilisierung sämtlicher physischen und geistigen Kräfte. Manchmal gelang es – mal in der Bäckerei, mal beim Putzen, obwohl es maßlos schwer war. Anschließend, wenn ich mich zur Schlafstelle schleppte[73], fiel ich auf ein, zwei Stunden in einen Todesschlaf, bis zum nächsten Arbeitstag. Doch auch Sujew – all das ist schon auf den »oberen« Etagen des menschlichen Willens.

Ich arbeitete schlecht vom ersten Tag an. Und damals wie heute halte ich die physische Arbeit für einen Fluch des Menschen, und die erzwungene physische Arbeit auch für die größte Beleidigung des Menschen.

Natürlich waren für einen Trotzkisten alle Anrechnungen von Arbeitstagen und weitere Lager gestrichen.

Die totale Schlacht zu erfahren – wer bleibt auf den Beinen und wer stirbt – war jedem gegeben, eben gegeben.

Die Gewalt über einen fremden Willen hielt und halte ich noch heute für das schwerste menschliche Verbrechen. Darum war ich auch niemals Brigadier, denn der Lagerbrigadier ist ein Mörder, ist der Mensch, die physische Person, mithilfe deren der Staat seine Feinde umbringt.

Und die über das Jahr 1938 angehäufte Erfahrung war eine organische Erfahrung, wie ein unbedingter Reflex. Auf die Anweisung »Los!« antwortet der Häftling mit sämtlichen Muskeln – nein. Das ist ein physischer wie auch geistiger Widerstand. Auf dem Pfad in die Goldgrube begegnen sich Staat und Mensch von Angesicht zu Angesicht in der intensivsten, offensten Form, ohne Künstler, Literaten, Philosophen und Ökonomen, ohne Historiker.

Manchmal regt sich ein Gefühl: wie schnell bin ich schwach geworden. Doch genauso schwach geworden waren meine Kameraden rundum, und ich konnte mich mit niemandem vergleichen. Ich erinnere mich, man bringt mich irgendwohin, führt mich raus, stößt mich mit dem Kolben[74] und dem Stiefel, ich krieche irgendwohin, schleppe mich rempelnd dahin unter einer ebensolchen Menge von abgefrorenen, hungrigen Zerlumpten. Das sind Winter und Frühling 1938. Vom Frühjahr 1938 an gab es an der ganzen Kolyma, besonders im Norden, im »Partisan«, Erschießungen.

Eine panische Furcht, uns irgendeine Hilfe zu gewähren, eine Brotrinde hinzuwerfen.

Selbst heute noch schreibt man Bände von Erinnerungen – ich habe jene erschossen und vernichtet, die vom Hauch des tödlichen Windes berührt wurden, der auf Stalins Befehl Trotzkisten vernichtete, die keine Trotzkisten waren, sondern bloß Antistalinisten, und noch nicht einmal Antistalinisten – Tuchatschewskij, Krylenko*. Die Trotzkisten selbst trugen ja keinerlei Schuld.

Wäre ich Trotzkist gewesen, ich wäre längst erschossen, vernichtet worden, doch schon die zeitweilige Berührung hat mir ein ewiges Brandmal[75] beschert. So sehr fürchtete sich Stalin. Wovor fürchtete er sich? Vor dem Verlust der Macht – nichts sonst.

Das Waskow-Haus*

Ein Soldat, heißt es, braucht einen Löffel. Der Häftling im Lager braucht auch den Löffel nicht. Suppe wie Nudeln kann man »über Bord« trinken und den Boden mit einer Brotkruste auswischen.


Vor dem Lager habe ich Schuhgröße 44 und Mützengröße 59 getragen. Nach dem Lager Mützengröße 58, und Schuhgröße 45.


Warum lässt man sich die Haare nicht scheren und trägt eine »freie« Frisur? Aus Protest, einer Regung, die manchmal psychotischen Charakter annimmt: der alte Sawodnik – ein ehemaliger Kommissar im Bürgerkrieg – stürzte sich mit dem Feuerhaken auf die Wächter, die dem Lagerfriseur halfen. Und verteidigte seinen Bart.


Die ersten Schläge von Brigadieren und Begleitposten 1938, im Januar, Februar. Das Gespräch mit Wawilow in der Nacht.

»Was wirst du tun, wenn sie zuschlagen?«

»Ich weiß nicht. Ertragen wahrscheinlich.« Das ist Wawilow.

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