Шаламов Варлам Тихонович - Über die Kolyma / О Колыме. Книга для чтения на немецком языке стр 8.

Шрифт
Фон

Gern würde ich den Tag und die Stunde gewahr werden, als die Kraft erlahmte. Die Vorbereitung begann mit der Etappe, mit der Butyrka-Etappe. Wir fuhren los ohne Geld, allein mit der Brotration. Fuhren fünfundvierzig Tage, plus fünf Tage übers Meer, dann zwei Tage mit dem Auto nach dreitägiger Erholung im Durchgangslager in Magadan, nach drei Tagen ununterbrochener Arbeit im Regen – Gräbenziehen an der Straße in die Wesjolaja-Bucht. Was dachte ich, was erwartete ich 1938? Den Tod. Ich dachte, ich verliere die Kräfte, falle um und sterbe. Und kroch doch, lief und arbeitete, fuchtelte mit der kraftlosen Hacke, schlurfte mit der fast leeren Schaufel und schob die Schubkarre auf dem endlosen Fließband der Goldgrube. Für die Schubkarre bin ich ausgebildet bis zum Tod. Irgendwie fiel mir die Karre leichter als Hacke oder Schaufel. Die Schubkarre ist, gekonnt geschoben, eine große Kunst – all deine Muskeln müssen beteiligt sein an der Arbeit des Karrenschiebers. An die Schubkarre erinnere ich mich, [unleserl.] mit breitem Rad oder schmalem mit großem Durchmesser. Das Schlurfen dieser Schubkarren auf dem zentralen Steg, der Abtransport per Hand über zweihundert Meter. Und ich probierte irgendwelche Karren, stritt mich, riss jemandem das Instrument aus der Hand.

Das Badehaus als Strafe, denn das Badehaus ist gestohlen von eben den vier Stunden der offiziellen täglichen Ruhepause. So ein Badehaus ist kein Scherz.

[Ich erinnere mich an] die Grenzenlosigkeit der Erniedrigungen, und jedes Mal erweist sich, man kann noch tiefer erniedrigen, noch heftiger schlagen.

Die Angehörigen wiederholten ständig – nicht willentlich ihr Schicksal erschweren. Aber wie das tun? Dich umbringen ist nutzlos. Das rettet die Angehörigen nicht vor Strafe. Aber sie bitten, keine Päckchen zu schicken und sich an das eigene Glück, das eigene Gelingen zu halten bis zum Schluss? Das war es.

Und wo war das Zelt, die neue Baracke, wo ich meinen Partner Gussew bat, mir den Arm mit dem Brecheisen zu brechen, und wo ich, als der sich weigerte, mehrfach mit dem Brecheisen zuschlug, mir eine Beule holte[60], und das ist alles. Alle sterben, und ich laufe und laufe noch immer herum.

Die Verhaftung im Dezember 1938* hat meine Lage schroff verändert, ich kam ins Gefängnis zur Untersuchung, wurde aus dem Gefängnis entlassen nach der Verhaftung des SPO-Chefs Hauptmann Steblow und kam ins Durchgangslager und schaute mit neuen Augen auf die Lagerwelt.

Woran erinnert sich der Körper?

Die Beine werden schwach, auf die obere Pritsche[61], wo es wärmer ist, kommst du nicht mehr hinauf, und du besitzt nicht die Kraft oder besitzt den Verstand, dich nicht mit den Ganoven zu streiten, die die besten warmen Plätze besetzen. Das Gehirn wird schwächer. Die Welt des Großen Landes wird so fern, so unnötig mit all ihren Problemen. Die Zähne wackeln, das Zahnfleisch schwillt[62], und der Skorbut[63] siedelt sich für lange in deinem Körper an. Die Spuren der Pyodermie und des Skorbuts auf meinen Waden und Schenkeln sind noch immer da. Im Jahr 1939 in Magadan wichen alle vor mir zurück im Badehaus – Blut und Eiter flossen aus meinen offenen Wunden. Kratzspuren auf Bauch und Brust, Kratzspuren von den Läusen.

Ein Fetzen Zeitung, im freien Friseurladen aufgelesen, ruft keinerlei Emotionen hervor, außer der Berechnung – wie viel Machorka-Zigaretten ergibt dieser Zeitungsfetzen. Keinerlei Wunsch, vom Großen Land zu wissen, obwohl wir von Moskau an, schon ungefähr ein Jahr, keine Zeitungen gelesen haben. Viele Jahre werden auch noch vergehen, ehe du voller Furcht und Vorsicht versuchen wirst, etwas aus der Presse zu lesen. Und wieder nicht verstehst. Und die Zeitung wird dir unnötig vorkommen, so wie 1938. Die Nägel habe ich immer abgekaut, abgebrochen, abgespalten – wir hatten jahrelang keine Schere. Skorbutwunden und Pyodermie-Geschwüre erschienen irgendwie sofort auf dem Körper. Wir mieden die Ärzte – der Feldscher Ljogkoduch, Chef des Ambulatoriums im »Partisan«, war berühmt für seinen Hass auf Trotzkisten. Bald wurde Ljogkoduch verhaftet und kam an der Serpantinka um. Aber auch zu den anderen ging ich nicht hin. Nicht, dass ich nicht krank gewesen wäre, meine Kameraden gingen hin und erhielten die Einbestellung vor irgendwelche Kommissionen. Der Effekt war ein und derselbe – der Tod. Ich lag in der Baracke und war bemüht, mich möglichst wenig zu bewegen, oder schon außerstande, mich zu bewegen, schlief oder lag und war bemüht, diese vier Erholungsstunden liegen zu bleiben.

Ich war ein schlechter Arbeiter und war darum überall an der Kolyma in der Nachtschicht. Schlimmer als der Grubensommer war der Winter. Der Frost. Die Arbeit, wenn auch zehn Stunden – man muss Behälter mit Erde karren, den Torf von der Goldschicht abnehmen —, die Arbeit ist leichter als die sommerliche, aber Bohren, Sprengen und Beladen des Behälters mit der Schaufel[64] und Abfuhr per Hand auf die Halde, mit vier Mann pro Behälter. Sehr quälend ist der Frost. Die Geschwüre schmerzen immerzu. In die guten Brigaden nimmt man mich nicht.

Alle Brigaden haben während einer Goldsaison, in vier Monaten, ihre Belegschaft zweimal und dreimal ausgetauscht. Am Leben ist nur der Brigadier und sein Helfer, der »Barackendienst« – die übrigen Brigademitglieder sind unter der Erde oder im Krankenhaus, oder in der Etappe. Jeder Brigadier ist ein Mörder, eben jener Mörder, der die Arbeiter persönlich und mit eigenen Händen ins Jenseits befördert. Selbst ein Brigadier mit Artikel 58, der Staatsanwalt des Gebiets Tscheljabinsk Parfentjew, witzelte, als er sah, dass ich in seinem Beisein einfach an der Grube entlanggehe, um mich zu wärmen, Schalamow fühlt sich auf dem Boulevard.

»Nein«, antwortete ich, »auf der Galeere.«

All das wurde selbstverständlich irgendwo vorgetragen, irgendwo hintertragen, um auf einmal als »Juristenverschwörung«[65] hochzugehen. Auch das betrifft das Jahr 1938, noch den Dezember.

Es schüttet. Alle Brigaden sind von der Arbeit entlassen wegen des Regens, alle außer unserer. Ich werfe die Arbeit hin, werfe die Hacke hin, dasselbe tut mein Partner. Ich erinnere mich nicht an seinen Namen. Man führt uns durchs Lager zum diensthabenden Kommandanten. Das sind nur Erinnerungen – wahrscheinlich Frühling 1938 … An der Kolyma unterscheidet sich der Frühling nicht vom Herbst. Irgendwie gab es im Mai 1938 in der Zone noch keinen Isolator, es gab nur den diensthabenden Kommandanten. Man führte uns in die Baracke und stellte uns an der Wand auf.

»Sie wollen nicht.«

Ich erklärte, dass alle Brigaden wegen des Regens entlassen wurden und nur …

»Still, du Aas …«

Der Kommandant trat nah an mich heran und streckte … Er schlug nicht, schoss nicht, knuffte nur – und durch die durchnässte Wattejoppe, Feldbluse und Wäsche brach er mir eine Rippe.

»Weg hier.«

Ich hinkte und kroch los in Richtung Baracke. Ich begriff von Anfang an, dass die Gesetze nur Märchen sind, und schonte mich, wie ich konnte, aber konnte mir nichts bewahren. Außerdem ging ich diesen ganzen Sommer jeden Tag Brennholz sägen oder in die Bäckerei, oder irgendwo in die Baracke der bytowiki. Es ist so, dass im Lager jeder Diener seinen Diener haben will. Und diese Rationen, eine Wassersuppe über die Ration hinaus, waren, obwohl wir keine Kräfte hatten, von Bedeutung für die Erhaltung des Lebens. In der Grube arbeitete ich schlecht und rief keinen dazu auf, gut zu arbeiten, ich habe keinem einzigen Menschen an der Kolyma gesagt: los, los.

Ваша оценка очень важна

0
Шрифт
Фон

Помогите Вашим друзьям узнать о библиотеке

Скачать книгу

Если нет возможности читать онлайн, скачайте книгу файлом для электронной книжки и читайте офлайн.

fb2.zip txt txt.zip rtf.zip a4.pdf a6.pdf mobi.prc epub ios.epub fb3

Популярные книги автора